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Ashford Park

Ashford Park

Titel: Ashford Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Willig
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Jahrhunderts, während die Frau auf dem anderen ein lose fallendes Kleid der zwanziger Jahre trug. Quer durch das Zimmer schienen die beiden einander zornig anzufunkeln, für immer im Kampf der Generationen gefangen. Nicht einmal in Farbe gebannt, konnte die Tochter der edwardischen Epoche ihre Missbilligung über die mondäne ‹neue› Frau der goldenen zwanziger Jahre verbergen.
    Was hatte in dem Magazin gestanden? Ein Landhaushotel in London. Ja, das bestätigte die Speisekarte: ein einzelnes Blatt aus schwerem, geprägtem Papier, auf der vor allem Wildgeflügel wie Rebhuhn, Moorhuhn und Fasan angeboten wurde. Für die Fischliebhaber gab es schottischen Wildlachs. Bei dem Preis konnte man erwarten, dass er mindestens mit Kilt serviert wurde und einen traditionellen Tanz vorführte.
    «Vielleicht einen schönen Château Lafite», murmelte Paul, der die Weinkarte mit einer Aufmerksamkeit studierte, wie er sie Mandantenunterlagen nur selten widmete. «Oder einen weißen Bordeaux.»
    Clemmie lehnte sich zurück und ließ ihren Blick wandern. Nur noch zwei Tische waren besetzt. An dem einen saß ein sichtlich gelangweiltes junges Paar, vielleicht war es in den Flitterwochen? Am anderen Ende des Saals, unter der mondänen Zwanziger-Jahre-Frau, unterhielten sich zwei alte Damen angeregt bei ihrem schottischen Wildlachs.
    «Sie schaut ein bisschen aus wie du», bemerkte Harold.
    «Wer?» Wenn er eine der Achtzigjährigen meinte, würde sie das als ernste Beleidigung auffassen.
    «Die Frau auf dem Gemälde.» Er wies mit dem Kopf auf das Bild der Mondänen.
    «Das machen nur die Haare», sagte Clemmie, sah sich das Bild aber doch genauer an.
    Es wirkte leicht verschwommen, ob infolge von Kerzenqualm, der sich darauf niedergeschlagen hatte, oder gewollt, konnte Clemmie nicht sagen. Jedenfalls bekam die Frau dadurch etwas Verträumtes, ihr Blick etwas Verschleiertes, Schwüles. Sie saß auf einer Bank, eine schmale Hand auf dem Samtpolster, als hätte sie sich eben erst gesetzt oder wollte gerade aufstehen. Lange Perlenschnüre lagen um ihren Hals, Perlen schmückten auch ihre Handgelenke und ihre Ohren. Das schwarze Stirnband um das helle Haar verlieh ihr einen Zug der Verwegenheit. Aber vielleicht rührte dieser Eindruck auch von der vorgeschobenen Hüfte oder dem Ausdruck ihres Mundes her. Sie besaß einen starken verführerischen Reiz, der aber weniger einladend als vielmehr herausfordernd war.
    Auf Clemmie wirkte sie wie ein männerfressender Vamp.
    Sie kam ihr merkwürdig bekannt vor. Nicht der Ausdruck ihres Gesichts, sondern seine Züge. Clemmie wusste, dass sie sie schon einmal gesehen hatte, aber unter anderen Umständen, in einem anderen Zusammenhang. Sie versuchte, die Erinnerung zu fassen zu bekommen.
    Paul räusperte sich. «Sie wissen, wer das da ist?»
    «Bea», sagte Clemmie, der plötzlich eingefallen war, wo sie sie schon einmal gesehen hatte. Es war die Frau in Granny Addies Schublade.
    Paul sah sie an, als wäre sie verrückt geworden. «Was? Nein, das ist der
Eigentümer
», flüsterte Paul ungeduldig und viel zu laut. «Der Marquis von Rivesdale.»
    «Was?» Clemmie fuhr aus ihren Gedanken. «Wo?»
    «Da.» Paul wies nickend zur anderen Seite des Saals, wo ein Mann gerade die beiden alten Damen begrüßte, eine von ihnen mit Wangenküssen. Er war angemessen in abendliches Schwarz gekleidet, doch Clemmie erkannte sofort den Mann vom Empfang.
    «Im Ernst? Ich dachte, er arbeitet am Empfang. Er war heute Morgen unheimlich nett, hat mir extra ein Taxi geholt», fügte sie bei Pauls entsetztem Blick hinzu.
    Als hätte er gemerkt, dass sie über ihn sprachen, schaute der Marquis zu ihnen herüber, entdeckte Clemmie und lächelte. Das Lächeln erlosch prompt, als er Paul bemerkte. Er sah eigentlich gar nicht wie ein Marquis aus, dachte Clemmie, jedenfalls nicht so, wie sie sich einen Marquis vorgestellt hätte. Er sah eher aus wie ein Universitätsdozent oder ein Gast auf einer Hochzeit, der Cousin der Braut vielleicht, neben dem man gar nicht ungern sitzen würde.
    Paul machte ein Gesicht wie damals, als er bei der Feier nach einem wichtigen gewonnenen Prozess versehentlich die Olive in seinem Martini verschluckt hatte. «Sie haben sich von ihm ein Taxi holen lassen?»
    «Er hat’s mir angeboten.»
    Paul hob eine Hand. «Marquis?»
    Der Marquis verabschiedete sich ohne Eile von den beiden Damen. «Mr. Dietrich», sagte er höflich, bevor er sich Clemmie zuwandte. «Ich sehe, Sie haben Ihre Freunde

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