Ashford Park
laut war das Brausen in ihren Ohren.
Sie warf verstohlen einen Blick zur Seite, um sich zu vergewissern, dass er keine Einbildung war, doch er war wirklich und wahrhaftig da, sehr greifbar in seinem grauen Flanellanzug. Ein Glück, dass er nicht wusste, wie oft sie in ihren Tagträumen an seiner Seite gegangen war. Damals, in Ashford hatte sie sich die wildesten Phantasien über ihr gesellschaftliches Debüt zusammengesponnen, sich vorgestellt, wie sie hinter Bea die große geschwungene Treppe hinunterging, wie aller Augen auf Bea gerichtet waren – bis auf ein einziges Paar grüner Augen.
Seine
Augen. Wie er dann, ohne ein Wort zu sagen, sein Glas zum Gruß hob und sie die Treppe hinunterschwebte und den Rest des Abends in seinen Armen tanzte: die Märchenprinzessin, die aus dem Turm befreit war.
Später, in den Kriegsjahren, lag sie oft erschöpft in ihrem Bett im Schwesternschlafsaal und fragte sich, ob sie unter dem nächsten Schub Patienten einem schlanken, dunkelhaarigen Mann begegnen würde, der sich unter Mühen aufrichten und ungläubig
Miss Gillecote?
ausrufen würde. Er war natürlich nie schwer verwundet, immer nur so sehr, dass er in die Heimat zurücktransportiert wurde.
Sie sind Krankenschwester geworden,
würde er voll Bewunderung sagen. Dann würde irgendetwas passieren – es wechselte von Tagtraum zu Tagtraum –, ein Brand im Krankenhaus, ein Bombeneinschlag, eine äußerst heikle Operation, und sie würde mit ihrer unerschütterlichen Gelassenheit den Überblick behalten. Worauf Captain Desborough ihre Hand nehmen und sagen würde: «Ich habe nie eine Frau wie Sie gekannt».
Und sie würden glücklich und zufrieden miteinander leben bis an ihr Lebensende.
Sie wusste natürlich, dass das albern war. Aber im Grunde war er ja harmlos, dieser kleine Traum von Liebe und Glück, der aus der Erinnerung an ein schönes Augenpaar und einen flüchtigen Moment der Freundlichkeit gesponnen war: nicht mehr als ein Mittel, um sie mit einem Lächeln einschlafen zu lassen, wenn sie den ganzen Abend blutige Verbände gewechselt oder Tante Veras Maßregelungen geschluckt hatte. Obwohl sie seinen Lebensweg verfolgte, soweit es ihr möglich war, in den Zeitungen seinen Namen suchte, hatte sie nicht erwartet, ihm je wieder zu begegnen. Er war für sie eine Art Romanfigur wie Mr. Rochester geworden, mit der man eine Weile lachte und litt, um sie dann wieder sicher zu verstauen.
«Was ist denn aus ihr geworden?», erkundigte er sich im Konversationston.
«Aus wem?» Unter ihrer Hutkrempe hervor sah Addie ihn an und hoffte, er merkte nichts von dem, was in ihr vorging.
«Aus der Maus», sagte er lächelnd.
«Ach so, Sie meinen Binky.»
«War das ihr Name?»
«Eigentlich hieß sie Bianca.» Sie versuchte, einen leicht blasierten Ton anzuschlagen, während sie die zitternden Hände ineinanderkrampfte. «Weil sie weiß war. Wir fanden das wahnsinnig originell.»
«Ist sie wegen staatsgefährdender Aktivitäten eingeschläfert worden?»
«Sie meinen, weil sie Dodo ihren Ball verpatzt hat? Nein. Sie ist im reifen Alter von fünf Jahren eines natürlichen Todes gestorben.» Wie lächerlich das jetzt alles schien, wie absurd, dass sie sich einmal über eine losgelassene Maus auf einem Ball Gedanken gemacht hatten. «Es scheint ewig her zu sein, nicht?»
«Ja.» Seine Stimme hatte sich verändert. Sie hatte etwas Schleppendes bekommen, wie einen Unterton von Lebensüberdruss. Sein Gesicht war schmaler als damals, schmaler und irgendwie müde. «Sie sind wohl zur Saison in der Stadt?»
«Nein. Diese Gesellschaften waren nie mein Fall, also habe ich beschlossen, darauf zu verzichten.»
«Verzichten?» Captain Desborough lachte amüsiert. «Was gibt es da zu verzichten?»
«Sie meinen, abgesehen von einem Mauerblümchendasein?»
Irgendwie war es ein Triumph, ihm ein Lächeln in dieses allzu hagere Gesicht gelockt zu haben.
Davon ermutigt, sagte sie: «Ach, ich fand dieses ganze Getue so sinnlos und überflüssig nach allem, was passiert ist. Da geht man auf Feste und steht herum und tut so, als wäre alles wie immer, obwohl es nie wieder so sein wird.» Addie versuchte, seine Reaktion zu erkennen, aber sein Gesicht war im Schatten der Hutkrempe verborgen. «Und dazu kommt natürlich, dass mir diese Feste nie Spaß gemacht haben. Genau genommen mache ich also nur aus der Not eine Tugend.»
«Und was haben Sie jetzt vor, wo Sie beschlossen haben, auf die Gesellschaften zu verzichten?», fragte er höflich, doch
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