Ashton, der Heißbluetige
Vergessens, einer Pause von dem beständigen Kampf.
Diese Erkenntnis traf sie bis ins Herz, setzte es in Flammen wie ein trockenes Feld, sandte Licht in die dunkelsten Ecken, die Stellen voller Sorge und Furcht, die sie zehn Jahre lang gehegt und gepflegt hatte, in denen sie sich versteckt hatte. Die Stellen, wo sie sicher gewesen war.
Aber Ash Merrick war nicht sicher, und Ash Merrick zu lieben würde niemals sicher sein . . . Sie hielt inne, und ihre Hand, mit der sie Stellas dichtes, weiches Fell gestreichelt hatte, verharrte.
Ash Merrick zu lieben.
Sie erhob sich in einer fließenden Bewegung und war sich mit einem Mal völlig sicher, was ihr vorbestimmt war, was ihr Schicksal war. Endlich.
Ash stand über das Schreibpult in der Ecke seines Zimmers gebeugt und starrte auf die Zahlenreihe, die er aus dem Gedächtnis aufgeschrieben hatte. Wenn er sich recht erinnerte, dann gingen die Beträge in Carrs Rechnungsbuch sieben oder acht Jahre zurück. Neben ihnen war keine Herkunftsbezeichnung oder irgendetwas anderes vermerkt, nur das Datum.
Aber was, wenn überhaupt, hatten sie mit Rhiannon Russell
zu tun? Er seufzte tief auf und rieb sich mit den Händen über die von Bartstoppeln rauen Wangen. Inzwischen würde der Junge ihr ihren nutzlosen Hund gebracht haben. Sie würden in begeisterter Wiedersehensfreude auf dem Boden in ihrem Zimmer herumrollen. Der Gedanke zauberte ein Lächeln auf seine schroffen Züge, und er gönnte es sich eine Minute lang, das Bild vor seinem geistigen Auge zu betrachten, genoss seine süße Reinheit, bevor er den Rücken straffte und sich das Haar aus der Stirn strich.
Er hatte über Wichtigeres nachzudenken. Er hatte gehört, wie Fia zu Gunna gesagt hatte, dass König George nicht mehr nur damit zufrieden war, Carr in die Highlands zu verbannen, als Strafe für seine schlechte Angewohnheit, Ehefrauen zu verlieren, sondern so weit gegangen war, Vergeltung anzudrohen für jede weitere dahingeraffte Tochter Englands, die unter seinem Schutz stand.
Das musste es gewesen sein, worauf Tunbridge in seinem Brief angespielt hatte - Carrs Besessenheit von seiner Stellung in der Gesellschaft. Tunbridge musste ausgesandt worden sein, den Weg für eine Art Aussöhnung zwischen dem König und Carr zu ebnen.
Und das war noch nicht alles. Letzte Nacht war es Ash gelungen, den Verwalter des Earl bei einem Zechgelage in die Zange zu nehmen, an und für sich schon ein kleiner Sieg, denn Carr hatte für diese Aufgabe jemanden angestellt, der für seine Diskretion bekannt war.
Ash hatte stundenlang schreckliche und reichlich übertriebene Erzählungen über seine Zeit in Paris zum Besten gegeben. Unter dem Einfluss von Wein und Charme hatte der dürre kleine Mann schließlich begonnen, voller Mitgefühl zu nicken. Stück für Stück hatte er seine Geheimnisse enthüllt. Nachdem er die Kosten, die nötig waren, eine Burg wie Wanton's Blush zu unterhalten, erwähnt hatte, hatte der kleine Kerl den Finger an die Nase gelegt und ein Auge zu einem vorsichtigen Zwinkern zusammengekniffen.
„Carr hat fast genug Einkünfte, dass er das hier unterhalten kann“, hatte er geflüstert. „Informationen sind irgendjemandem immer Gold wert. Dann ist da noch das Glücksspiel. Bestimmte Gentlemen, und ich bin sicher, Ihr könnt von alleine auf den Namen wenigstens eines kommen, da Lord Carr erwähnte, Ihr hättet seine Hand aufgespießt, zahlen Seiner Lordschaft Geld für die Auszeichnung, an seine Tische einge-
laden zu werden. Dann sind da noch die Schuldscheine und die Bankwechsel und der Besitz in Übersee . . .“
Dann, als wäre ihm plötzlich klar geworden, wie viel er verraten hatte, hatte er sich die Hand vor den Mund geschlagen, war unsicher aufgestanden und fortgeeilt.
Besitz in Übersee? In den amerikanischen Kolonien?
Ash stieß sich von dem Schreibpult ab und ging zum Fenster. Seit Rhiannons Ankunft hier war Carr mit jeder Stunde angespannter geworden. Aber in den vergangenen paar Tagen hatte seine Verärgerung einer gewissen Erwartungshaltung Platz gemacht. Das verhieß für irgendjemanden nichts Gutes, und dieser irgendjemand durfte auf keinen Fall Rhiannon sein.
Tief in seine Gedanken versunken, war sich Ash nur vage bewusst, dass hinter ihm die Tür geöffnet wurde. In der Annahme, es handele sich nur um ein Dienstmädchen, das eine Kanne frisch gebrühten, starken Kaffees brachte, deutete er, ohne sich umzudrehen, auf das Schreibpult. „Stell es da ab, bitte, und mach dir nicht die
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