Ashton, der Heißbluetige
verfolgte sie. Wenn sie nachts die Augen schloss, dann erschienen Merricks sehnige Gestalt und seine dicht bewimperten dunklen Augen in erschreckender und allzu verräterischer Klarheit vor ihr. Seit dem Vorfall im Irrgarten hatte sie sich bemüht, seine Gesellschaft zu meiden.
Doch heute Abend würde es kaum möglich sein, dass sie seine Gesellschaft mied - oder er ihre. Heute Abend war Lady Harquists Ball. Wenn sie sich nicht ständig voller Sorge gefragt hätte, ob Ash Merrick dort sein würde oder nicht, wäre es in ihren Augen sicher nur wieder die übliche überfüllte, ungemütliche Veranstaltung gewesen.
Sie nahm an, dass Ash in die Gästeliste aufgenommen worden war, aber selbst wenn er eingeladen worden war, würde er absagen. Er hatte eine mehr als hinreichende Entschuldigung: Er hatte keine Abendkleidung mitgebracht.
Der Gedanke verschaffte ihr Erleichterung, zur gleichen Zeit jedoch verspürte sie ein schmerzhaftes, schuldbewusstes Bedauern.
Edith Fraiser hatte schließlich doch Recht behalten: Ash Merrick war gefährlich.
„Himmel, Merrick, die Kreatur, die Ihr da reitet, würde ich noch nicht mal an meine Hunde verfüttern!“ verkündete Phillip undeutlich.
Ash, der ein Stück vor ihm auf einem stämmigen Pony durchgerüttelt wurde, in schwarze Seide gekleidet, drei Viertel seines Gesichtes unter einer Maske verborgen, schien ihn gar nicht gehört zu haben. Die anderen, die bei ihnen waren, jedoch schon. Sie erhoben betrunken ihre Stimmen, um lautstark ihre Zustimmung zu bekunden. Sogar die Zigeuner, die mit ihnen ritten, hatten sich durch Ash Merricks scheinbare Gutmütigkeit täuschen lassen. Ihre Zähne blitzten strahlend weiß unter den fantasievollen Masken, während sie sich in ihrer Muttersprache an dem Spaß beteiligten.
Phillip, der nicht in der Stimmung war, ignoriert zu werden, trieb sein Pferd an. Ein Stück vor ihnen erstrahlte Harquist Manor im Glanz unzähliger Lichter wie ein Leuchtfeuer im Dunkeln.
„Ihr seid ein wahrer Prachtkerl“, verkündete Phillip, als er an Ashs Seite angekommen war.
Ash warf ihm einen flüchtigen Blick zu, lächelte jedoch bloß auf seine träge Weise und nahm einen weiteren Schluck aus dem Weinschlauch, der von seiner Hüfte hing.
Als er nicht antwortete, fuhr Phillip fort: „Will verflucht sein, wenn das hier nicht ein großartiger Einfall ist. Weiß gar nicht, warum wir nicht schon vor Jahren darauf gekommen sind.“
Es war tatsächlich ein fabelhafter Einfall, aufsehenerre-
gend und Spaß verheißend. Früher am Tag hatten sie alle noch trübsinnig im „The Ploughman's Inn“ gesessen und einen Krug Ale nach dem anderen geleert, während sie lauthals die tödliche Langeweile des Festes beklagten, die sie später am Abend würden erdulden müssen - Lady Harquists Frühlingsball.
Ash war schweigsam gewesen - ein Verhalten, zu dem er in letzter Zeit häufiger neigte. Auch wenn Phillip sich fest entschlossen zeigte, für Unterhaltung zu sorgen, so ließ sich Merrick doch nicht beschwatzen. Seine unverhohlene Langeweile hatte auf die anderen ansteckend gewirkt und ihre gewöhnlich gute Laune getrübt, bis ein paar schmutzige, bettelarm aussehende Gestalten die Gaststätte betreten hatten.
Merrick hatte den Kopf gehoben und sie mit mehr Interesse betrachtet, als er den ganzen Nachmittag über gezeigt hatte. Ein angeregtes Funkeln war in seine dunklen Augen getreten. Dann hatte er mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen.
„Wenn die heutige Abendunterhaltung nichts als Eintönigkeit verspricht, Gentlemen, dann stehen Euch genau zwei Möglichkeiten offen“, hatte er erklärt. „Ihr könnt sie umgehen . . .“
„Verflucht unwahrscheinlich“, unterbrach ihn John Fortnum betrübt. „Mein alter Herr würde mich enterben, wenn ich Lady H. brüskieren würde.“
„Geht mir ebenso“, bekannte Phillip.
„Dann bleibt Euch nur eine Möglichkeit offen“, sagte Ash ungeduldig. „Ihr selbst müsst die Unterhaltung des Abends werden.“ Er deutete mit dem Kinn zu den Fremden. „Wenn ich mich nicht täusche - und ich täusche mich in solchen Sachen nur selten -, dann sitzt dort drüben eine ausgezeichnete Möglichkeit, genau das zu erreichen.“
Bevor irgendjemand ihn aufhalten konnte, hatte er auch schon Raoul, den grauhaarigen Anführer der Gruppe, an ihren Tisch gerufen. In den folgenden beiden Stunden - und mithilfe eines Kruges starken Mosts - hatte Merrick herausgefunden, dass die Zigeuner tatsächlich zu einer größeren Gruppe von
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