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Asperger - Leben in zwei Welten

Asperger - Leben in zwei Welten

Titel: Asperger - Leben in zwei Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Preißmann
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bei uns das Renovieren der abgebrannten Küche jahrelanges Thema. Die einen wollten die alten, gewohnten Sachen trotz der Beschädigung durch das Feuer behalten (mein Vater und ich als Autisten). Die anderen konnten nicht verstehen, warum nicht schon längst eine neue Küche angeschafft worden war (meine Mutter und meine Schwester als Nichtautisten). Wenn andere Leute die nächste Urlaubsreise planten, gab es bei uns eine Familienkrise. Für meinen Vater war diese Urlaubsplanung mit Auslandsaufenthalt und Fremdsprache ein unüberwindbares Hindernis. Für meine Mutter dagegen war ein Fernurlaub ein sehnsüchtiger Traum, der sich innerhalb dieser Familie jedoch nie erfüllen ließ.
    Auch der Rest der Familie fand keine Erklärung für die seltsamen Ereignisse bei uns, und es gab immer das Gefühl, nicht wirklich zusammenzupassen. Familienfeiern endeten nicht selten mit stundenlangen Karteikasten-Vorführungen meines Vaters, denn er sammelt Daten zu Malern und anderen Künstlern. Ein Teil der Familie hatte wirklich Interesse daran, für andere war es einfach nur gähnende Langeweile und nicht zu verstehen. Bis heute durchschaut der Großteil meiner Familie diese unterschiedlichen Vorstellungen der Welt nicht. Letztendlich führten diese ungeklärten Unterschiede zur Scheidung meiner Eltern. Inzwischen haben beide jeweils neue Partner auf ihrer Wellenlänge gefunden. Für mich als nicht erkanntes autistisches Kind in dieser »Kuddelmuddelfamilie« gab es häufig nur die Flucht, denn ich konnte dieses Durcheinander von Gefühlen und Anforderungen nicht einordnen. Ich spürte, dass irgendetwas gar nicht passte und dass ich oft der Auslöser für die Eskalation der dauerhaft angespannten Situation war.
    Ich spürte, dass irgendetwas gar nicht passte und dass ich oft der Auslöser für die Eskalation der dauerhaft angespannten Situation war.
    Die Eltern sind auch für Autisten wichtige Bezugspersonen. Besonders für erwachsene, lange Jahre nicht erkannte Autisten kann es sein, dass die Beziehung zu den Eltern von zwei Dingen geprägt ist. Auf der einen Seite steht die biologische Bindung, die nicht zu verleugnen ist und die lebenslang ein Zusammengehörigkeitsgefühl bewirkt. Auf der anderen Seite gibt es die vielen Missverständnisse durch das Nicht-Verstehen und Anders-Einordnen von Sprache und Handlung. Hierdurch entstehen auf beiden Seiten Verletzungen, die nicht einfach durch die Namensgebung einer Diagnose beseitigt werden können. Alle Beteiligten müssen einen Weg finden, damit umzugehen, und vielleicht wird es durch ein gegenseitiges Verständnis – dank des Wissens um die Existenz von Autismus – möglich sein, aufeinander zuzugehen. Auf der Wahrnehmungs- und Kommunikationsebene wird allerdings die Diskrepanz bestehen bleiben, sodass durch die Diagnose allein keine »Normalisierung der Beziehung« möglich werden kann.
    Ich bin dankbar dafür, diese Eltern und damit die Möglichkeit bekommen zu haben, zwei unterschiedliche Wahrnehmungsformen kennen zu lernen. Besonders die autistischen Fähigkeiten in unserer Familie möchte ich nicht missen.
    Die Beziehung zu meiner Schwester war früher sehr angespannt
    Ich habe eine drei Jahre jüngere Schwester. Unsere Beziehung war während der Kindheit sehr angespannt. Aus Sicht meiner Schwester war ich vermutlich der unberechenbare, übersensible, oft auch aggressive und jähzornige Störfaktor in der häuslichen Umgebung. Sie war froh, als ich noch während der Schulzeit auszog und sie endlich ihre Ruhe und ein eigenes Zimmer hatte. Nach einer mehrjährigen Kontaktpause konnten wir im Verlauf unseres Studiums, das an unterschiedlichen Orten stattfand, eine neue Geschwisterbeziehung aufbauen. Unsere Kommunikation fand seither überwiegend am Telefon statt und wurde im Laufe der Zeit besser und weniger konfliktreich.
    Mittlerweile möchte ich sagen, dass meine kleine Schwester eine Freundin geworden ist. Wir sind regelmäßig in Kontakt und haben Themen gefunden, über die wir uns gut austauschen können. Bei vielen Inhalten haben wir sehr unterschiedliche Ansichten und manche Themen vermeiden wir auch. Seit meiner Autismusdiagnose konnten wir einige der langjährigen Missverständnisse aufklären. Die vielen Verletzungen, die auf beiden Seiten, besonders während der gemeinsamen Phase in der Elternwohnung, entstanden, bedürfen

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