Asperger - Leben in zwei Welten
Zuhause, denn meine Nachbarn (einer davon ist seitdem mein Partner) nahmen mich sofort in ihre Hausgemeinschaft auf. Es gab immer einen Ansprechpartner, wenn ich nicht allein sein wollte, und auÃerdem jederzeit die Möglichkeit, mich in mein Reich zurückzuziehen. In dieser nach etwa drei Jahren Umzugschaos zum Glück neu gefundenen Ruhe konnte ich mein Medizinstudium und die Doktorarbeit abschlieÃen. Noch heute denke ich, dass dies bisher die ruhigste und angenehmste Zeit in meinem Leben war. Alles hatte seine Ordnung: Ablauf nach dem Semesterstundenplan, feste Nachbarn mit fast allabendlichem gemeinsamem Essen und guten Gesprächen. Der etwa drei Kilometer lange Weg zur Uniklinik war kein Problem, denn es ging nur die HauptstraÃe entlang, ich konnte ihn gut mit dem Fahrrad bewältigen. Auch Einkaufsmöglichkeiten gab es um die Ecke und meine Nachbarn nahmen mich, wenn es nötig war, mit dem Auto zum Einkaufen mit.
Mein praktisches Jahr verbrachte ich gröÃtenteils im Ausland
Dann war mein Studium zu Ende und ich machte mein praktisches Jahr zum gröÃten Teil im Ausland (Papua-Neuguinea und Australien, wobei ich in Papua-Neuguinea zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl hatte, wirklich zu Hause zu sein. Heute weià ich, dass das so »einfache Leben« in diesem von der Natur faszinierend gestalteten Land mitten im Dschungel des Hochlands für mich als Autistin einfacher zu bewältigen war als das anspruchsvolle Leben in Deutschland, wo es viele soziale Regeln und noch mehr Missverständnisse gibt.).
Als Ãrztin zog ich in eine noblere Wohngegend â aber da passte ich nicht hin
Zurück in Deutschland, begann ich meine Tätigkeit als Ãrztin und zog in meine erste richtige Wohnung. Es war eigentlich nur eine Ein-Zimmer-Wohnung, aber immerhin mit kombiniertem Schlaf-Wohn-Bereich und einer kleinen Küche sowieBad mit Dusche. Somit kam ich zum ersten Mal dazu, mir eigene Möbel anschaffen zu müssen. Seltsamerweise wusste ich genau, was ich wollte: Es musste Naturholz sein, natürlich unlackiert und ohne jeglichen Schnickschnack. Ich hatte Glück, denn genau so etwas gab es gerade im Angebot (ich kaufe fast nie etwas zu normalem Preis). So erstand ich mein Bett, einen Kleiderschrank, zwei kleine Kommoden, ein Regal und ein Sofa. All dies besitze ich noch heute und es passt einfach. Ich möchte und brauche nichts anderes und es wundert mich, wie zielsicher ich dies gekauft habe. Normalerweise kann ich mich sehr schwer entscheiden, wenn ich etwas kaufen muss, und meist gefällt es mir dann doch nicht.
Ich fühlte mich komplett deplatziert â obwohl ich mittlerweile Ãrztin war und es endlich Zeit wurde, erwachsen zu werden und dazuzugehören.
Allerdings konnte ich mich in dieser Wohnung irgendwie nicht wohl fühlen. Die Umgebung mit all den für mich nobel erscheinenden Ein- oder Zweifamilienhäusern, mit all den Menschen im Anzug, mit all den perfekt gestylten Frauen, die mich dann auch noch zum Aloe-Vera-Abend (keine Ahnung, was das sein soll) einluden. Ich fühlte mich komplett deplatziert und bemerkte mal wieder, dass dies einfach nicht meine Welt ist â obwohl ich mittlerweile Ãrztin war und es endlich Zeit wurde, erwachsen zu werden und dazuzugehören. Ich verbrachte die Zeit hauptsächlich in der Klinik oder in meiner Wohnung und war immer froh, wenn ich niemandem begegnete. Es gab keine Gesprächsthemen mit den »noblen Menschen« in meiner Umgebung, und es fiel mir sehr schwer, so zu tun, als ob ich dazugehörte, denn mein Gefühl sagte mir das Gegenteil.
Ich vermisste meinen Freund, denn in der Arbeitswelt fand ich niemanden, der mich verstand. Aber die Fahrt zu ihm (200 km) war sehr mühsam, denn ich musste mit Bus und Zug fahren und kam oft nur mit Problemen und Verspätungen und sehr gestresst an.
In meiner jetzigen Zwei-Zimmer-Wohnung fühle ich mich wohl
Vor fünfeinhalb Jahren wechselte ich meine Arbeitsstelle und zog in die Wohnung, in der ich noch immer lebe und mich einigermaÃen wohl fühle. Diese Wohnung befindet sich in einem 32-Parteien-Wohnblock in Laufentfernung von meiner Arbeit. Es gibt eine Art Hausmeister, der sich um Organisatorisches kümmert, der Handwerker beauftragt und den man um Hilfe bitten kann. Ansonsten ist durch die GröÃe der Wohnanlage vieles organisiert, ich als Mieter muss mich kaum kümmern. Jeden Freitag wird das Treppenhaus gereinigt
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