Assassine - Hüterin des Drachenbaums (German Edition)
leben konnten. Alle Wächter lagen auf improvisierten Pritschen. Keine weiteren Möbel waren im Raum zu sehen, nur einige Holzhaken an den Wänden, damit die Mietlinge ihre Ausrüstung dort verstauen konnten. Die Stangenwaffen lehnten neben den einfachen Betten. Kurzwaffen wie Dolche lugten unter den mit Stroh gefüllten Kopfkissen hervor. Ari ließ ihren Blick schweifen. Ein Kasten an der Rückseite der Baracke erregte ihre Aufmerksamkeit. Schwaches Kratzen war in der Kiste zu hören. Eine dunkle Vorahnung schlich sich in ihre Gedanken. Doch das musste warten. Die Assassine zog ihren Dolch und begann ihr blutiges Werk. Schnell ging sie von Pritsche zu Pritsche und durchtrennte mit einem tiefen Schnitt die Kehlen der Schlafenden. Der Letzte war ein massiger Mann mit einem Kreuz, das so breit war, dass das kleine Bett nicht ausreichte. Eine Schulter ragte über die Kante. Es war mittlerweile still geworden, denn dieser schnarchte nicht. Ari setzte ihre blutige Klinge an die Kehle, als ihr Handgelenk gepackt und zur Seite gedrückt wurde. Der Hüne stemmte sich hoch und holte mit seiner riesigen Faust zum Schlag aus.
Doch die Assassine war schneller. Die vergiftete Klinge schnellte heraus und fand ihr Ziel. Tief rammte Ari sie ihm unter das Kinn und trieb sie ins Gehirn. »Du bist schuldig«, zischte sie ihm ins Gesicht. Die Augen des Mannes verdrehten sich und er sackte nach hinten in sein dreckiges Kissen. Es war vollbracht. Nun wandte sie sich dem Kasten zu, der an der Wand stand. Kein Geräusch war mehr zu hören. Sie öffnete den Riegel und hob ihren Dolch, dann riss sie den Deckel auf, bereit, im Notfall zuzustoßen. Doch das war nicht nötig. Ein Mädchen kauerte vor ihr in der Kiste. Die Kleine war dreckig und wimmerte. Ihr Kleid aus grobem Leinen war zerrissen. Sie schlang die Arme fest um sich und sah die Assassine ängstlich an. Doch etwas war seltsam – ihre Augen. Ari konnte trotz der dämmrigen Dunkelheit einen violetten Schimmer in ihnen entdecken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Das war die Farbe, die nur ihr Volk besaß!
Schnell legte Ari einen Finger auf ihren Mund und schüttelte langsam den Kopf. Das Mädchen starrte sie nur angstvoll an, gab aber keinen Laut von sich. Die Dunkle nahm ihre Kapuze ab und ihre silbernen Haare kamen zum Vorschein. Sie beugte sich zu der Kleinen hinunter und flüsterte ihr zu, still zu sein, keine Angst zu haben und hier zu warten, bis alles vorbei wäre. Ein zögerliches Nicken war alles, was sie als Antwort bekam. Die Enrai schloss vorsichtig den Deckel und verhüllte sich wieder. Sie musste den Kopf frei bekommen und das eben Gesehene verdrängen. Jede Ablenkung konnte ihren sicheren Tod bedeuten.
Wenn sie mit ihrer Vermutung weiterhin recht hatte, dann blieben jetzt noch wenigstens zwei Menschen übrig: der Minenbesitzer und der Wachoffizier, der dem anderen Mädchen geholfen hatte. Mit großen, schnellen Schritten huschte sie zwischen den Baracken hindurch und schlich sich hinter die größte der Hütten. Aus einem Fenster auf der Rückseite fiel Licht auf den ausgetretenen Weg und Stimmen waren zu hören. Die Assassine postierte sich direkt darunter und lauschte der Unterhaltung. Es waren zwei Männer. Einer davon war der Wachoffizier, sie erkannte dessen Stimme, und der andere offensichtlich der Minenbesitzer. Er gab Anweisungen und trank zwischen seinen Sätzen. Wahrscheinlich Alkohol, denn seine Worte klangen undeutlich und verwaschen. Ari war überrascht, denn der Offizier beschwerte sich bei von Rotfels – so nannte dieser seinen Gesprächspartner –, dass die Söldner Schweine wären, die keinen Funken Ehre im Leib trügen.
Ein schallendes Lachen dröhnte durch die Hütte und von Rotfels antwortete: »Mein lieber Baptist, mir ist in den letzten Wochen bereits aufgefallen, dass du ein Herz für unsere ›Arbeiter‹ entwickelt hast, aber wir sind hier, um Gold zu verdienen und Edelsteine abzubauen. Das Einzige, was zählt, ist die Anzahl der Steine, die sie mit ihren kleinen Händen aus der Erde holen. Deine Männer sind hier im Urwald ganz alleine und müssen sich auch abreagieren, oder glaubst du, sie schwitzen es sich aus den Rippen? Eigentlich dachte ich, dass du dich auch schon mit den Kleinen vergnügt hättest! Ich persönlich habe den Männern noch vor deiner Zeit die Erlaubnis gegeben, sich zu holen, was sie brauchen. Wenn mal eines der Kinder dabei stirbt, wen kümmert es? Auf dem Sklavenmarkt bekommen wir neue und das für einen Bruchteil
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