Assassine - Hüterin des Drachenbaums (German Edition)
ihr den Weg zu Konrad und Nareil zeigen, aber dabei vorsichtig sein solle, damit sie keine Aufmerksamkeit erregten. Der Falke flog los und Ari setzte sich den Hügel hinab in Bewegung.
Es war ein Bild des Elends, das sich ihr bot, als sie die Ausläufer der Stadt erreichte. Überall lagen in Lumpen gehüllte, von der Seuche gezeichnete Gestalten. Sie schlurften herum und verbargen ihre entstellten Gesichter unter Kapuzen oder schmutzigen Tüchern. Hin und wieder konnte die Enrai einen Blick auf sie werfen. Eiterbeulen und Geschwüre wucherten unkontrolliert auf den müden Gesichtern. Bei einigen der Bewohner entstand der Eindruck, dass sie mehr als nur die Krankheitsmerkmale versteckten. Unnatürliche Bewegungen unter den Lumpen verrieten Ari, dass einige auch an Mutationen litten, die sie zu verbergen suchten. Der Gestank raubte einem den Atem. Fäkalien und Verwesung waren dabei noch das Erträglichste. Es lag aber noch ein anderer Geruch in der Luft, und den kannte sie nur allzu gut. In Donnerstein war er auch allgegenwärtig gewesen – verbranntes Menschenfleisch. Süßlich und schwer waberte der aufdringliche Duft durch die engen Gassen.
Die ärmlichen Behausungen bestanden aus nicht mehr als ein paar schlecht zusammengezimmerten Brettern. Konrads Sumpfhütte war dagegen ein Palast gewesen. In einer Seitengasse sah sie einen Haufen, der nur aus Leichen bestand. Sie blieb stehen und sah sich um. Niemand nahm Notiz von ihr. Vorsichtig näherte sie sich und zog einem zum Skelett abgemagerten Toten, dessen Schädel an der Stirn eingedrückt war, den dreckigen Umgang weg und legte ihn sich um. Der Lumpen war schmierig und mit Eiter, Blut und Dreck verkrustet. Ari kämpfte mit dem Ekel und versuchte ihn zu unterdrücken, aber nur in ihrer Drachenlederrüstung konnte sie unmöglich an den Stadtwachen vorbeigelangen, ohne deren Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Eine zerlumpte Gestallt rempelte sie an. »Geh weg hier, das ist mein Revier! Such dir deine eigenen Leichen!«, krächzte ihr eine alte Frau entgegen. Ihrgraues Haar war fettig und klebte strähnig an ihrem Gesicht. Ein Geschwür hatte das linke Auge bizarr verschoben und Eiter lief dort unablässig die Wange herunter. Das andere war milchig weiß und rollte wild in der Höhle umher. Mit von Gicht verkrüppelten Händen schubste sie die Assassine immer wieder in Richtung der Hauptstraße und stieß dabei dunkle Verwünschungen aus. Geifer spritzte aus dem zuckenden Maul der alten Vettel und wurde von einem abstoßenden Mundgeruch begleitet. Er stank nach Verwesung und Krankheit. Hin und wieder waren braune Zahnstümpfe zu erkennen, die wie kleine Felsen in der Brandung von gelblichem Schleim und Speichel umspült wurden.
Ari setzte ein finsteres Gesicht auf und ließ ihre Klinge hörbar aus ihrem Ärmel fahren, nur um sie sofort wieder verschwinden zu lassen. »Geh weg, Alte, oder dein erbärmliches Leben endet hier!« Eiskalt schnitt die Stimme der gereizten Assassine durch die Luft und ließ keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Gesagten.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte die Greisin die Dunkle an, dann hob sie beschwichtigend die verkrüppelten Arme und humpelte zeternd davon. Ari blickte sich verstohlen um, ob sie durch diese Aktion Aufmerksamkeit erregt hatte. Aber alles schien seinen gewohnten Gang zu nehmen. Sie bückte sich und griff in einen Hundehaufen, der in der Nähe der Leichen lag. Sie verzog angewidert die Mundwinkel, hielt die Luft an und rieb sich das Gesicht damit ein. Ein starker Würgereflex schüttelte sie, nur durch reine Willenskraft rang sie ihn nieder. Ihre Tarnung war vollendet und musste reichen. Sie sah nicht nur aus wie ein Bewohner des Armenviertels, sie roch auch wie einer. Es war an der Zeit, sich in die eigentliche Stadt zu begeben. Sie konnte Mirx nicht entdecken und ging deshalb davon aus, dass er bereits hinter dem Tor auf sie wartete. Um verletzt und verkrüppelt zu wirken, verbog sie beim Gehen den Rücken, drehte einen Arm nach außen und zog das linke Bein auffällig nach. So näherte sie sich dem Stadttor. Sechs gut gerüstete Wachen standen herum und schikanierten die Leute, die ein und aus gingen. Mitten in der Straße ragte ein hünenhafter Ritter aus der Menge. Ari stockte der Atem – ein Dämonenritter! Sie durfte sich nichts anmerken lassen und humpelte weiter.
Die erste Dreiergruppe zu passieren, war einfach, doch die zweite stand sehr ungünstig. Ein breiter Wagen wurde gerade durchsucht und sie
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