Assassini
Papstthron, der papabili, stiegen und fielen wie die Notierungen am Aktienmarkt. D’Ambrizzi und Indelicato waren die klaren Favoriten, aber auch anderen räumte man durchaus noch Chancen ein.
Ein anderes vieldiskutiertes Thema waren die Morde an Schwester Val, Lockhardt und Heffernan im weit entfernten Amerika, wo solche Greuel ja bekanntlich an jeder Straßenecke passieren konnten. Dennoch waren die Morde sogar für amerikanische Verhältnisse eine ziemliche Sensation. Elizabeth wurde mit Fragen bestürmt. Sie wehrte sie ab, so gut sie konnte. Sie stellte sich dumm. Sie sprach zu niemandem über die Theorie vom Killerpriester: In Rom war das eine Lunte, die man besser nicht anzünden sollte, wie sie sehr gut wußte. Dahingehende Fragen und Bemerkungen waren ihr bisher auch nicht begegnet, und sie hatte nicht die Absicht, zur Quelle eines so brisanten Gerüchts zu werden. Infolge dessen aber – weil sie sich niemandem anvertrauen konnte und durfte – ging ihr die Geschichte vom mordenden Priester nicht mehr aus dem Kopf, ließ sie nicht mehr los, quälte sie, und sie entwickelte allmählich ein Gefühl, als säße sie in einer Falle – durfte sie doch das, von dem sie wußte, daß es der Wahrheit entsprach, niemandem anvertrauen.
Sie brauchte jemanden, mit dem sie darüber reden konnte. Es war so seltsam, daß Val nun nicht mehr da war … und Elizabeth wollte wissen, was es mit den ›fünf in einem Jahr‹ auf sich hatte. Fünf Tote in einem Jahr …
Beinahe wäre sie der Versuchung erlegen, Ben anzurufen, weil sie seine Stimme hören wollte, weil sie ihn um Verzeihung bitten wollte, aber sobald sie die Hand nach dem Hörer ausstreckte, zog sie sie wieder zurück; nein, sie würde ihn morgen anrufen. Morgen.
Es war ein Alptraum, das wußte er genau, und so fand er sich im Laufe der Zeit damit ab, ähnlich, wie man sich an eine schreckliche, eiternde Wunde gewöhnen mochte, etwas, für das es keine Heilung gab, etwas Übelriechendes, das den Rest des Lebens infizierte und verpestete und einen gesunden Menschen zu einem fast verrückten, neurotischen, hilflosen Kranken machte.
Sogar in jenen Augenblicken vor dem Erwachen, in den nebelhaften Schleiern des langsam erwachenden Bewußtseins, wenn man fast schon wieder fähig ist, die Bestie in seinem Innern zu bändigen, hatte Sandanato den Eindruck, wirklich und wahrhaftig an jenem dunklen Ort umherzuwandeln, der jede Nacht auf ihn wartete. Manchmal gelang es ihm, diesem Ort zu entfliehen. Manchmal nicht. Er bewegte sich lautlos von Zimmer zu Zimmer, aber hinter einigen Türen und Torbögen, die er durchschnitt, befanden sich keine Zimmer, sondern Kammern mit Fußböden aus brennendem Sand; kupferrote Wände aus Stein erhoben sich um ihn herum; Tausende von Stufen waren in das Antlitz der schroffen Klippen gehauen; eine Scheibe aus sengendem Weiß stand hoch über ihm am blauen Himmel; ein Bild, wie es sich einem Mensch bieten mochte, der in alle Ewigkeit auf dem Grunde eines vergifteten Brunnens gefangen war …
In seinen Träumen befand er sich immer auf der Sohle einer tiefen Schlucht, ohne die kleinste Möglichkeit, einen Weg hinaus zu finden; allein, einsam und von Schmerzen geplagt, taumelte er durch die Finsternis; der Himmel über ihm war in unermeßlich weiten Fernen, schien ihn zu verhöhnen, war unerreichbar. Und immer war sein Traum durchdrungen vom schwachen Duft nach Weihrauch und dem eigentümlichen Geruch des brennenden, windgepeitschten Sandes und dem Gestank von schwelendem Gestrüpp, das nie einen Tropfen Regen gesehen hatte. In seinem Traum war es immer ein namenloser, dunkler Ort, dröhnend und bebend aus eigener, unheiliger Kraft, pulsierend vom schwarzen Blut, das fortwährend aus Quellen strömte, die wie Wunden in die Felswände geschnitten waren.
Und dann geschah das Unerklärliche. Das Wunder.
Der Boden des Tales begann unter seinen Füßen zu erzittern, das schwarze Blut rauschte und schäumte aus den rot glänzenden schroffen Klippen, und dann wurde die Wand vor ihm auseinandergerissen, und er sah den Weg hinaus, den Weg in die Freiheit, den Pfad, der durch den Berg geschnitten war, und dahinter unermeßliche Weite … eine Wüste in schreiend bunter Blüte, und am Horizont, gebadet in einen schimmernden Nebel aus Sonnen- und Mondlicht – unerklärlich, weil es ein Traum war – lag eine Burg, ein vollkommen sicherer und heiliger Ort …
Und in seinem Traum war er nicht mehr einsam, sondern umringt von vermummten Brüdern,
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