Assassini
die er kannte, irgendwie, irgendwoher, und die er aus ihrem gemeinsamen Gefängnis bis zum Fuß der zerfurchten, windumtosten Felswände führte. Er war wieder gesund, besaß einen neuen, starken Körper, war getauft worden im heißen schwarzen Blut, war endlich ein Krieger geworden, ein Gladiator eines atavistischen Ordens, der sich aufmachte, eine heilige Mission zu erfüllen.
Das Tal der Tränen. Diesen Namen hatte er jenem höllischen Ort gegeben, dem er wieder einmal entronnen war.
Und dann verblaßten all diese Bilder, und der Ort des schwarzen Blutes tauchte hinab in sein Unterbewußtsein, wo er schlummerte.
Sandanato öffnete die Augen; sein Körper und die Laken waren naß von Schweiß, und der neue Tag begann.
Es war vier Uhr morgens am zweiten Tag der Rückkehr Monsignore Sandanatos nach Rom.
Giacomo Kardinal D’Ambrizzi hatte den größten Teil seines Lebens in Verschwiegenheit verbracht, und vier Uhr morgens war eine sehr verschwiegene Stunde.
Hinter dem Steuer des Wagens sitzend, musterte Monsignore Sandanato das Gesicht seines alten Mentors im Innenspiegel. Der Kardinal saß in lässiger Haltung auf der Rückbank des unauffälligsten Wagens, der die Zulassungsnummer der Vatikanstadt trug – ein blauer Fiat mit einem rostenden Kratzer an einem der hinteren Kotflügel. Es war vier Uhr früh an einem dunklen, kühlen Herbstmorgen. Sandanato lenkte den Wagen über die zu dieser Stunde ungewohnt stillen Seitenstraßen Roms, die zum Teil so eng waren, daß die tristen Wohnhäuser sich über die Straße hinweg die Hände zu reichen schienen wie gebrechliche, uralte Freunde. Es war, als würde man durch einen Tunnel fahren.
Der Kardinal nahm gedankenversunken eine seiner schwarzen ägyptischen Zigaretten aus einem alten Etui mit Lederrücken, schob sie sich in den Mundwinkel und zündete sie an. Er inhalierte tief, und Sandanato sah die Finger des Kardinals, kurz und stummelig und fleckig von Nikotin; die Finger eines Bauern. D’Ambrizzis Gesicht, das voller Konzentration auf einen Sherlock-Holmes-Roman gerichtet war, den er in der Linken hielt, war das Gesicht eines Mannes, der den Luxus liebt, die Annehmlichkeiten des Lebens; ein Borgia. Seine Lippen waren dick, die Zähne unregelmäßig und gelb vom vielen Rauchen, seine Augen aber blau und klar und lebendig unter den fleischigen Lidern.
Der Kardinal trug Zivilkleidung. Auch das war ein Auswuchs seiner Manie, was die Verschwiegenheit betraf. Und selbst jetzt, da D’Ambrizzi schweigend auf der Rückbank des kleinen Wagens saß, würde dieser alte Mann mit dem betagten Borsalino – einem Teil seiner Tarnung – kein lautes Wort von sich geben: weil er Angst hatte, daß irgendwo im Wagen eine Wanze angebracht sein könnte. Bei einem Spiel, bei dem es um so hohe Einsätze geht, ist alles möglich: So hätte D’Ambrizzi es ausgedrückt. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Dieser Spruch hatte für ihn seine Richtigkeit.
Er hatte sich den Hut tief in die Stirn gezogen. Das einst so dichte schwarze Haar war jetzt weiß; es lag flach wie eine Kappe um den massigen Schädel. Der unscheinbare graue Anzug war ihm etwas zu klein und spannte in den Schultern. D’Ambrizzi war ein untersetzter, vierschrötiger Mann von kräftigem Körperbau, und sogar jetzt noch, Mitte der siebzig, eine einschüchternde Erscheinung. Als Halbwüchsiger in Triest hatte er den Ruf besessen: schneller Verstand, noch schnellere Fäuste.
Über all die Jahre hatte Sandanato sehr viel Zeit gehabt, diesen Mann zu studieren, dessen angeborene Gabe zur Verstellung, aus der er schon so viel Nutzen gezogen hatte. D’Ambrizzi besaß das irreführende, scheinbar lose Mundwerk eines schwatzhaften alten Klatschmauls – wenn er wollte. Er war von Natur aus nachlässig, was sein Äußeres betraf. Aus diesem Grunde sah er immer ein wenig ungepflegt aus, gleichgültig, wie er gekleidet war und zu welchem Anlaß, mochte er noch so wichtig sein. Es war fast unmöglich, sich D’Ambrizzi als gepflegte und ordentliche Erscheinung vorzustellen, selbst wenn genau das auf ihn zutraf. Aber das alles war nur Tarnung. Hinter dem Gesicht eines alternden Sybariten strahlte ein wacher, scharfer Geist, gepaart mit einem untrüglichen Instinkt. Giacomo Kardinal D’Ambrizzi, einer der verschwiegensten Menschen – aber vor Monsignore Sandanato hatte er nur wenige Geheimnisse wahren können.
Von Anfang an hatte Sandanato gewußt, daß der Kardinal in die weltlichsten Angelegenheiten der Kirche verwickelt
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