Assassini
…
Aber sie hatte Ben zum Narren gehalten; denn sie hatte sich ja mit ihm zusammentun, hatte ihm ja helfen wollen. Und natürlich hatte es in den paar Tagen, die sie gemeinsam verbracht hatten, ein Spannungsverhältnis sexueller Natur gegeben. Wie hätte es auch anders sein können?
Und das durfte eben nicht sein. Gar keine Frage.
O ja, und sie war wirklich wütend gewesen, als er ihr erklärt hatte, daß Monsignore Sandanato offensichtlich in sie verliebt sei. Hatte er sich über sie lustig machen wollen? Seine Bemerkung war so dumm gewesen, so lächerlich. Ja, er hatte sich über sie lustig gemacht, der verdammte Kerl. Eine Nonne als Ziel der Begierde eines Monsignore. Ha, ha. Sehr komisch.
Dennoch. Ben Driskill war ein netter Kerl. Sie hatte ihm gegenüber jene leisen Gefühle verspürt, die eine Nonne nicht verspüren sollte, und sie hatte geglaubt, daß Ben dies ebenfalls gespürt, sich aber nur über ihren Mangel an Erfahrung amüsiert hatte, ihre Befangenheit.
War das der Grund für ihre zum Schluß so abweisende Haltung gewesen? Hatte sie ihn deshalb angegriffen? Ihm deshalb ihre Hilfe verweigert?
Hatte sie die Kirche deshalb so vehement verteidigt? Hatte sie deshalb seine Pläne und Ziele verleugnet, die sie die ganze Zeit über doch unterstützt hatte – lag es daran, daß sie das Gefühl gehabt hatte, von ihm gedemütigt worden zu sein?
Oder lag es einfach daran, daß sie Angst davor hatte, sich in ihn verliebt zu haben?
Eine andere Frau wäre wohl kaum auf den Gedanken gekommen, daß ein einziger, lange zurückliegender Abend wie der im Gramercy Park sowie ein paar gemeinsam verbrachte Tage, zudem noch getrübt von der Trauer um einen geliebten Menschen, dazu führen konnten, tiefere Gefühle zu entwickeln, sich gar zu verlieben. Aber diese Frage war müßig. Sie, Elizabeth, war Nonne. Und eine Nonne war darauf vorbereitet worden, mit Männern – ohnehin zumeist Geistlichen – in einer bestimmten Weise zu verkehren, in einer sehr bestimmten Weise, in der Romantik und Gefühle keinen Platz hatten. So man denn Gefühle hatte.
Aber ihre Gefühle für Ben waren anderer Natur.
Und darum hatte sie Streit mit ihm gesucht und dafür gesorgt, daß er sie nun verachtete.
Gute Arbeit, Schwester.
Als das Flugzeug in Rom landete, war Elizabeth völlig erschöpft. Sie hatte tiefe Ringe unter den Augen, und ihr Herz klopfte wild. Daphne umarmte sie zum Abschied, und wieder spürte Elizabeth die geradezu magnetische Anziehungskraft dieser großen, glänzenden Kinderaugen. Natürlich konnten weder Daphne noch ihre Mutter ahnen, daß Elizabeth Ordensschwester war. Im Taxi sah sie ihren Terminkalender und die Notizen durch, die sie während des Fluges gemacht hatte; dann hielt der Wagen vor dem Hochhaus an der Via Veneto. In ihrem Apartment zog sie ihren Jogginganzug an, schob eine Kassette in den Walkman - White Album von den Beatles –, und machte einen flotten, anstrengenden, dreiviertelstündigen Lauf, brachte sich in Schweiß, versuchte, die trüben Gedanken und die Müdigkeit zu verscheuchen. Nach einer eiskalten Dusche blickte sie niedergeschlagen in den Spiegel über dem Waschbecken. Kein Make up, das Haar verschwitzt und ungepflegt, die Wangen eingefallen, die Augen stumpf und glanzlos. Das Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenstarrte, ließ sie an einen Ausspruch von Schwester Claire denken, damals während ihres Noviziats. Claire hatte eine Revlon-Vertreterin gebeten, die ›Saatkrähen‹, wie sie sich und die anderen Nonnen nannte, zu besuchen, um sie in der Kunst der dezenten, aber dennoch wirkungsvollen Benutzung von Kosmetika zu unterweisen. »Wie kann man erwarten, daß jemand hinaus in die Welt geht und das Wort Gottes verkündet«, hatte Claire gesagt, »wenn er aussieht, als wäre er der Hölle entsprungen?« Letzteres war denn doch ziemlich übertrieben gewesen, aber der Schminkunterricht hatte den gewünschten Erfolg gebracht. Naja, es gab keinen Zweifel, daß sie momentan tatsächlich so aussah, als wäre sie der Hölle entsprungen, aber zehn Minuten später hatte sie die Schäden der schlaflosen Nacht zumindest ausgebessert und war bereit, hinauszugehen und sich der Welt zu stellen, wenn nicht sogar dem Teufel.
Stunden später, als der geschäftige erste Arbeitstag nach der Reise in die Staaten sich seinem Ende zuneigte, saß sie allein in ihrem Büro und gönnte sich eine Pause, um in sich zu gehen, einfach nur ein wenig nachzudenken. Sie nippte an einer Tasse kalten Kaffee,
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