Assassini
Cassoni empfohlen.
»Es sieht schlimm aus«, sagte Cassoni. »Wir haben unser Spiel, Ihr Spiel verloren, Eminenz. Der Hirntumor des Papstes hat sich rapide verschlimmert.« Er zuckte die Achseln. »Es wundert mich, daß der Heilige Vater noch immer bei … na ja, klarem Verstand ist. Er gehört schon längst ins Krankenhaus. Ich weiß, ich weiß, er muß bleiben, wo er ist. Er muß so lange durchhalten wie möglich. Wir müssen eben die Dosierungen erhöhen, die Behandlung intensivieren, aber es ist nur noch eine Frage von Wochen. Er hat noch einen Monat, sechs Wochen, bis Weihnachten vielleicht …«
»Das genügt nicht«, sagte der Kardinal.
Dr. Cassoni lachte heiser. »Was soll ich machen, Giacomo? Für Wunder seid ihr Geistlichen zuständig. Und seine Heiligkeit braucht ein Wunder.«
»Jeder muß sterben, mein Freund. Der Tod ist nichts. Aber der Zeitpunkt des Todes kann von Bedeutung sein. Bis Calixtus stirbt, bleibt noch so viel zu tun …«
»Und nur so wenig Zeit«, sagte Cassoni. »Wie oft bekommt man das als Arzt zu hören. Jeden Tag! Immer kommt der Tod zum ungünstigsten Zeitpunkt.«
Der Kardinal kicherte leise, nickte.
Monsignore Sandanato beschränkte sich aufs Zuhören, als die beiden Männer sich ausführlich über Calixtus’ Krankheit, Behandlungsmethoden, Medikamente und deren Nebenwirkungen unterhielten. So kühl und sachlich, daß er am liebsten laut geschrien hätte. Aber er schwieg, hörte zu. Er und die beiden anderen Männer hier in diesem kleinen Zimmer, in diesem heruntergekommenen Krankenhaus, waren die drei einzigen Menschen in Rom, die wirklich wußten, wie es um die Gesundheit des Papstes bestellt war. Nicht einmal Calixtus selbst war so gut informiert. Doch es war ungeheuer wichtig für sie, möglichst genau Bescheid zu wissen. Die verbleibende Zeit war viel zu gering. Bald, sehr bald würde es einen neuen Papst geben. Und es mußte der richtige Mann sein.
Als D’Ambrizzi und Sandanato das Krankenhaus verließen, war der Morgen noch immer trist und grau, doch in der Luft lag ein feiner Nebelhauch, in dem sich das erste Licht des neuen Tages brach. »Lassen Sie uns aufs Land fahren, Pietro«, sagte der Kardinal. »Zum Campo di Maggiore.«
D’Ambrizzi hatte schon immer den Anblick Roms im frühen Morgenlicht genossen. Sie fuhren am Castel Sant’Angelo vorbei, in dem Papst Clemens VII. im Jahre 1527 Zuflucht vor seinen Feinden gesucht hatte. Der Kardinal hatte immer eine gewisse Sympathie für den armen alten Clemens empfunden, der von französischen Armeen und Gott weiß wem sonst noch bedrängt worden war. Dabei hatte Clemens nur seine Macht erhalten wollen wie alle Päpste vor und nach ihm. Doch auch jetzt wurde die Kirche wieder bedrängt; Feinde stürmten mit Schwertern und Hellebarden gegen die Mauern an. D’Ambrizzi gingen die Morde durch den Kopf, die mit der Erschießung der drei Amerikaner ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hatten. Sind das Gottes unerforschliche Wege? fragte er sich bitter.
Vom Rücksitz aus sah der Kardinal, daß Sandanato ihn im Spiegel beobachtete. D’Ambrizzi lächelte, faltete die Hände im Schoß und blickte hinaus auf die vorübergleitende Landschaft, ohne sie bewußt in sich aufzunehmen. Er schloß die Augen, um nachzudenken, um sich von keinem äußeren Eindruck stören zu lassen. Er kannte die Landschaft; er sah sie auch mit geschlossenen Augen. Den Sherlock-Holmes-Roman hatte er neben sich auf den Sitz gelegt.
Er dachte an Sandanato, dem er vertraute wie keinem anderen Menschen. Er war stolz auf den jüngeren Mann, wie ein Bildhauer auf eine besonders gelungene Skulptur stolz sein mochte, die er mit eigenen Händen geformt hatte, die ganz und gar sein Werk war, die seinen Hoffnungen und Erwartungen entsprach. Ja, Sandanato war sein Werk. Blindes Vertrauen schenkte D’Ambrizzi selbst ihm jedoch nicht, wußte er doch, daß man niemandem blind vertrauen durfte. Niemals. Wer zuviel Vertrauen in einen anderen Menschen setzte, konnte sehr schnell tot sein.
Es war ein mühseliger Aufstieg von der Straße aus über die Flanke des Hügels gewesen.
Alles – der Wagen, die Bäume, die Straße, die Kleidung der beiden Männer – war mit einer dünnen Staubschicht gepudert wie damals auf Sizilien, wo D’Ambrizzi einige Jahre seines Lebens verbracht hatte. Nur war der Staub dort ockerfarben und rot und heiß von der Sonne gewesen.
Sandanato ergriff rasch den Arm des Kardinals, als dieser über einen Stein stolperte und zu stürzen
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