Assassini
ich wolle. Eine Cola mit viel Eis, sagte ich. Und etwas zu essen. Sie verschwand und kam zehn Minuten später mit zwei Hamburgern und einem Glas Cola mit Eis zurück. Und so kam es, daß mir mein Leben und mein gesunder Menschenverstand erhalten blieben und ich mich entschloß, doch nicht nach Hause zu fahren.
Inzwischen hatte sich herausgestellt, daß der Keilriemen gerissen war und Lichtmaschine wie auch Wasserpumpe schwer gelitten hatten. Die Reparatur würde zwei bis drei Tage dauern, wurde mir gesagt. Ich stellte fest, daß die Männer wußten, wo sich das uralte Kloster befand, das ›Inferno‹ genannt wurde, und daß alle den Versuch, dorthin zu fahren, als hellen Wahnsinn betrachteten. Aber falls ich eisern entschlossen sei: Ein Lastwagenfahrer namens Abdul käme irgendwann am nächsten Morgen vorbei, und gegen entsprechende Bezahlung würde er mich bestimmt dorthin bringen. Ich könne in einem der Zimmer auf der ersten Etage übernachten. Ich hatte nicht mal mehr die Kraft, auf den Beinen zu bleiben, um mit meinen neuen Freunden ein Schwätzchen zu halten, trank noch zwei Glas Cola und ging dann auf mein Zimmer.
Ich tat für meinen Rücken, was ich konnte, wusch mich und legte mich auf das schmale Bett und spürte den körnigen Sand zwischen mir und der Matratze. Als die nächtliche Kälte über die Wüstenlandschaft kroch, zog ich mir die Decke bis unters Kinn. Aber ich konnte trotz meiner Müdigkeit nicht einschlafen.
Ich dachte noch einmal darüber nach, was Gabrielle LeBecq mir über ihren Vater erzählt hatte, über das Nazi-Raubgut, über die Männer auf dem Foto – über dieses ganze verwirrende Puzzle. Es war zu kompliziert. Ich konnte es nicht zusammensetzen, schon gar nicht in einer Weise, daß sich dabei eine Erklärung für den Mord an meiner Schwester finden ließ. Und darum mußte ich LeBecq aufstöbern, mußte ihn dazu bringen, daß er mir mehr erzählte, notfalls mit Gewalt. Wäre er nicht in die Wüste geflüchtet, hätte ich ihn vielleicht abgehakt. Vielleicht. Aber jetzt, wo er sich abgesetzt hatte, mußte ich ihn schnappen.
Die Straße war vor etwa vierzig Jahren während des Afrika-Feldzugs gebaut worden und war seitdem der Einwirkung von Sonne und Wind ausgesetzt gewesen. Die Spuren, die jedes einzelne Jahr auf dem Straßenbelag hinterlassen hatte, bekam nun mein Rücken zu spüren. Ich biß die Zähne zusammen, hielt mich krampfhaft an dem rostigen Armaturenbrett fest und flehte Gott um Erlösung an. Abduls Lastwagen war von den Italienern auf der Flucht vor den britischen Truppen zurückgelassen worden. Die Italiener mußten sehr wohl gewußt haben, warum sie das Ding in der Wüste hatten stehen lassen, und in den mehr als vierzig Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte sich der alte Karren nicht zum Guten verändert. Aber das war nun mal die einzige Möglichkeit, zum Kloster St. Christopherus zu gelangen; es sei denn, ich wollte zu Fuß gehen. Ich spürte, daß mein Hemd auf dem Rücken feucht war, und hoffte inständig, daß die Wunde nicht zu bluten angefangen hatte.
»Ist es noch weit?« rief ich Abdul über das Brüllen des Motors und das Rattern und Klappern und Rasseln der Karosserie zu, doch Abdul schien mich nicht zu hören; er hockte schweigend hinter dem Lenkrad und kaute auf seiner längst erloschenen, von Speichel durchweichten Zigarre herum. Ich blinzelte durch die von Fliegen verklebte, gesprungene Windschutzscheibe, aber die Straße war nicht zu sehen, weil der Wind Unmengen von Sand und Staub darüber hinwegwehte. Ich trug zwar eine Sonnenbrille, aber sogar hinter den dunklen Gläsern wurden meine Augäpfel immer sonnenverbrannter. Windverbrannter. Sandverbrannter. Ich nahm die Feldflasche von der Mittelkonsole, verbrannte mir die Finger am glühenden Aluminium und trank einen Schluck von der warmen, abgestandenen Brühe, damit meine Lippen nicht vor Trockenheit aufplatzten. Ich saß jetzt seit sieben Stunden in dieser Falle von Lkw. Ich war nicht ganz sicher, wie lange ich das noch durchhalten würde. Und ich fragte mich, was für eine Art Mensch sich aus freien Stücken an einen Ort wie diesen begab.
Und ich fragte mich noch etwas: Wenn dieses Museumsstück von Lastwagen seinen Geist aufgab, wie kamen wir hier dann wieder weg? Oder wenn Abdul mich zum Kloster brachte und nicht wieder abholte? Mußte ich dann doch noch Mönch werden, zwangsläufig, sozusagen? Aber vielleicht erwartete mich ja auch der silberhaarige Priester mit seinem Messer; dann
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