Assassini
in diesem unscheinbaren Holzkästchen verstaut und vergessen worden. Hier hatte es geschlummert, mehr als dreißig Jahre lang, und hatte auf jenen Tag in ferner Zukunft gewartet, an dem ein Gelehrter oder Besucher oder noch nicht einmal geborener Archivar es zufällig aufstöbern würde.
Sie kniete sich auf den Boden, nahm das Manuskript aus der Truhe und starrte auf den Namen. Pryce Badell-Fowler. PBF. Erst vor einem halben Jahr in seiner zum Büro umgebauten Scheune ermordet. Einer der fünf Männer …
An die Titelseite waren zwei Briefe angeheftet, die vom Verfasser des Manuskripts stammten; der Briefkopf gab außer dem Namen Pryce Badell-Fowler nur Bath – England an.
Der erste Brief datierte vom 4. Januar 1931 und war an Papst Paul XI. gerichtet. Er war ein im Grunde nichtssagendes Schreiben an Seine Heiligkeit, in dem Badell-Fowler sich bedankte, daß ihm ›Einsicht in bestimmte Quellen gewährt worden sei‹, zu denen ›bis dato kein Gelehrter Zugang bekommen‹ habe.
Der zweite Brief, datiert vom 28. März 1948, war an Papst Pius XII. gerichtet. Der Autor hob hervor, daß er nur noch ›einen, zwei abschließende Schritte unternehmen muß, bevor ich schließlich und endlich mein zweites Buch veröffentlichen kann. Wie Eurer Heiligkeit sehr wohl bekannt ist, muß ich mich noch mit der Thematik auseinandersetzen, inwiefern die Kirche in jüngerer Vergangenheit die Dienste berufsmäßiger Attentäter in Anspruch nahm, um ihre berechtigten Interessen durchzusetzen. Ich habe vollstes Verständnis für Eure Zurückhaltung in derlei Angelegenheiten, aber ich möchte auch meiner Dankbarkeit Eurer Offenheit gegenüber Ausdruck verleihen, die Ihr mir in unseren weniger förmlich verlaufenen Gesprächen habt zuteil werden lassen. Ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, daß mir durchaus bewußt ist, daß Zurückhaltung und Fingerspitzengefühl notwendig sind, wenn wir das zur Debatte stehende Thema bis in dieses Jahrhundert hinein weiterführen, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem verstorbenen Benito Mussolini. So kann ich denn nur hoffen, daß Ihr, Heiligkeit, in Eurer unendlichen Weisheit in gleichem Maße auch Verständnis für mein dringendes Bedürfnis aufzubringen vermögt, meine Recherchen bis zum Ende mit Nachdruck weiter zu verfolgen.‹
Die Briefe waren wie ein Fenster in die Vergangenheit. Wie gebannt von der fast körperlich spürbaren Präsenz des Engländers in dem einsamen Turmzimmer, begann Elizabeth zu lesen, blätterte mit fliegenden Fingern die Seiten um, hoffte inständig auf ihr Stichwort. Und dann, kurz vor Schluß des Manuskripts, fand sie es …
›… Über die Assassini ist nur wenig bekannt oder kann vollständig und wissenschaftlich exakt belegt werden. Doch immer wieder tauchen sie in den dunkelsten Kapiteln des Mittelalters bis in die Renaissance in Quellen verschiedener Provenienz auf wie die mißgestalten wilden Hunde, die dereinst durch die Vororte Roms strichen und von denen man weiß, daß sie sich manchmal am Fleisch der Kranken, Hilflosen, Alten und Schwachen gütlich taten oder diejenigen zerrissen, deren Furchtlosigkeit dem irrigen Glauben an die eigene Unverwundbarkeit entsprang.
Einige von diesen Schurken und Mördern hatten sich mit Leib und Seele den Päpsten verschrieben: Diese Männer waren die Meuchler des Papstes, wie aus den wenigen schriftlichen Quellen hervorgeht, die ungeachtet aller Bemühungen der Kirche, dieselben zu vernichten, bis in die heutige Zeit überkommen sind. Wenngleich gewisse Gerüchte beharrlich besagen, daß eindeutige schriftliche Belege über die Existenz und das Tun dieser Organisation existieren, Urkunden, welche tief in den feuchten, dunklen Gewölben bestimmter weltabgeschiedener Klöster verborgen sein sollen, ist seit Menschengedenken noch niemals ein derartiges Beweisstück vorgelegt worden.
Wie überliefert ist, wurden die päpstlichen Assassini zu jener Zeit ins Leben gerufen, als die Kirche in aller Verborgenheit die Macht des Kirchenstaates errichtete und festigte. Während der Pontifikate der Päpste Sixtus IV, Innozenz VIII. und schließlich Alexander VI., des Vaters von Cesare Borgia, die durch exzessive Korruption und schreckliches Blutvergießen gekennzeichnet waren, erlebten die Assassini eine Blütezeit. Feinde des Papsttums wurden gefoltert und ermordet, und das nicht nur in Rom, sondern ebenso in den weit verstreuten Stadtstaaten Italiens.
Die Assassini vergifteten, erdolchten oder strangulierten ihre ungezählten
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