Assassini
Opfer, unter denen sich als die bekanntesten auch die römischen Familien Colonna und Orsini befanden, die den Versuch unternommen hatten, die Autorität der Kirche zu untergraben, um auf diese Weise ihre eigene Macht und ihren Einfluß ausweiten zu können. Beide Familien wurden von den Assassini nahezu ausgerottet und schließlich zur Flucht gezwungen, bevor auch die letzten Überlebenden ihrer Geschlechter Mordanschlägen zum Opfer fielen – Männer, Frauen und Kinder.
Verschiedentlich ist behauptet worden, daß es in der Geschichte der westlichen Kultur nie eine schrecklichere Organisation gegeben habe, die zudem geradezu fanatisch auf Geheimhaltung bedacht war, wodurch sich der Mangel an überlieferten Quellen erklärt. Die Assassini riskierten buchstäblich alles im Dienste des Papstes. Sie dürfen also unter keinen Umständen mit den gewöhnlichen Straßenräubern und Schlägern auf eine Stufe gestellt werden, die zu jener Zeit nahezu ungehindert durch die Straßen Roms streifen konnten, noch dürfen sie mit den gemeinen Meuchlern verwechselt werden, die gegen gewisses Entgelt Mordaufträge ausführten und deren Dienste sich bis auf die Ärmsten der Armen jedermann erkaufen konnte. Die Assassini waren in jeder Hinsicht aus einem ganz anderen Holz geschnitzt: Sie stammten nicht selten aus alten, adligen Familien; es gab mitunter sogar Herzöge und Mitglieder des Klerus in ihren Reihen sowie religiöse Fanatiker, die ihr Tun als höchsten Dienst betrachteten, den ein Mensch der Kirche erweisen konnte.
Einer der historisch interessantesten Assassini war, wie aus verschiedenen Quellen hervorgeht, niemand anderer als der uneheliche Sohn des bedeutenden milanesischen Politikers Ludovico Sforza. Als die verschiedenen Stadtstaaten sich mit Rom verbündeten und an dessen Reichtum partizipierten, wuchs die Zahl derjenigen, die der mörderischen Organisation der Assassini angehörten – immer unter dem Siegel allerstrengster Verschwiegenheit. Sehr oft waren neue Mitglieder illegitime oder zweite und dritte Söhne ehrwürdiger Geschlechter, und häufig wurden auch Geistliche aufgefordert, bestimmte Aufträge auszuführen. Offenbar wuchs die Zahl der Assassini schnell. Der Kirchenstaat mußte um jeden Preis geschützt werden.
Nicht nur Cesare Borgia zog des Nachts mit seinen bewaffneten Schergen in einer Art Blutrausch durch die Straßen und verübte im Namen der Kirche Vergeltungsakte – auch andere folgten seinem Beispiel.
Während des Pontifikats Julius’ II., eines gütigen und milden Papstes, schwand die Bedeutung der Assassini allmählich, wie aus den versiegenden Quellen zu ersehen ist. Sie versanken im Dunkel der Geschichte. Über mehrere Jahrhunderte hinweg sind nur sporadische Hinweise auf ihre Aktivitäten zu finden, doch war dies immer dann der Fall, wenn die Kirche sich in einer besonders bedrohlichen Lage befand.
Erst während der Jesuitenverfolgungen im mittleren Italien lassen sich wieder eindeutige Hinweise auf die Assassini finden, und eine Zeitlang genügte die bloße Nennung dieses Wortes, um unter den Gegnern der päpstlichen Politik Furcht und Schrecken zu verbreiten.
Doch mit dem Ende der Jesuitenverfolgung und der Inquisition verschwanden die letzten Hinweise auf die Assassini. Erneut tauchten sie im Dunkel der Geschichte unter, aus dem sie dereinst erschienen waren. Und dort schlummerten sie nun, in Finsternis und Gestank, und warteten …‹
Das war alles, was der Autor über die Assassini geschrieben hatte; es gab nur noch diesen kurzen, rätselhaften Hinweis auf ›die baldige Fertigstellung des zweiten Buches‹ in Badell-Fowlers Brief aus dem Jahre 1948, in dem er Andeutungen machte, daß diese Organisation auch im zwanzigsten Jahrhundert tätig geworden sei. Badell-Fowlers Feststellungen und Bemerkungen waren fragwürdig und durch nichts zu belegen, gewiß, doch andererseits: Bei welchem Kirchenhistoriker war das nicht der Fall? Die Kirchengeschichte bestand von Anfang an aus zahlreichen Widersprüchen; bestimmte Sachverhalte wurden im Feuer des Mißtrauens, der Vorsicht, der Vergeltung und dem Abscheu vor eigenen, seit langer Zeit verborgenen Geheimnissen zurechtgeschmiedet. So konnte sich Elizabeth nur schwer vorstellen, daß Cesare Borgia, wie Badell-Fowler behauptet hatte, im ›Blutrausch‹ an der Seite seiner Schergen mordend durch die Straßen gezogen war, war dieser Mann in ihren Augen doch einer der fähigsten, kultiviertesten und fortschrittlichsten Köpfe seiner Zeit
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