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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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französisch-spanischen Grenze gekommen. Es waren damals bewegte Zeiten in Frankreich gewesen, sowohl in den Städten wie auf dem Land, und er hatte die geradezu chaotischen Verhältnisse genutzt, die kurz nach Kriegsende geherrscht hatten, um Paris und alles, was dort geschehen war, fluchtartig hinter sich zu lassen. Zu Fuß hatte er sich auf den Weg gemacht und war bis an die bretonische Küste gelangt, war dann von dort aus weiter nach Süden gewandert, bis er in dieses Dorf gekommen war, wo er sich schließlich niedergelassen und seither sein Leben verbracht hatte. Wenn er darüber nachdachte, was ihm aufgrund seiner sehr gefahrvollen, kräftezehrenden Kriegserlebnisse alles hätte widerfahren können, betrachtete er sich als einen Menschen, dem das Glück hold gewesen war. Er war nun schon seit sehr langer Zeit Faktotum des hiesigen Priesters in dessen armseliger Dorfkirche. Er wurde immer noch rot, wenn die einfachen Leute vom Lande, die hier lebten, ihn mit seinem Titel anredeten: Herr Küster. Er läutete die Glocke, erledigte die Reinigungs- und Reparaturarbeiten und hatte sich im Laufe der mehr als vierzig Jahre, die inzwischen vergangen waren, unentbehrlich gemacht. Er hatte ein stilles, zurückgezogenes, unauffälliges Leben geführt. Sie hatten ihn nicht aufgestöbert – was in Anbetracht seines Aussehens erstaunlich war. Als er aus Paris geflüchtet war, hatten sie nach ihm gesucht, und ihr Anführer war dieser Priester gewesen, den man aus Rom geschickt hatte, um die Nachforschungen zu leiten. Simon hatte ihm, Jean-Pierre, gesagt, daß man sie betrogen hätte und daß sie deshalb alle schleunigst untertauchen sollten. Jean-Pierre hatte es furchtbar mit der Angst zu tun bekommen, doch Simon hatte ihn beruhigt, hatte ihn daran erinnert, wie tapfer er gewesen war, als sie den Deutschen in die Falle gingen und man sie zum Verhör in die Scheune gebracht hatte. Jean-Pierre hatte genickt, und als er Paris verlassen hatte, da war er geflüchtet, geflüchtet, nur fort von Paris, nur fort von diesem Mann aus Rom, und die animalische Angst schien ihn unsichtbar gemacht zu haben. Wie sonst hätte er es schaffen können?
    Zwei Wochen nach seiner Flucht aus Paris war er einen felsigen Hügelkamm entlanggeklettert und hatte tief unten einen schmalen, sanft gewundenen Fluß gesehen und ein Dorf, groß genug, eine eigene Kirche zu besitzen. Der Kirchturm hatte ihn angezogen wie ein Magnet. Am Fuß des Hügels angelangt, hatte er sich in einem Gebüsch versteckt und auf den Einbruch der Dunkelheit gewartet, hatte die Dorfbewohner beobachtet, wie sie bedächtig ihren Geschäften nachgingen – Bauern, Händler, Handwerker. Als in den kleinen Häusern die Lichter aufflammten und die Kirche verlassen zu sein schien, hatte er noch eine Zeitlang im Dunkeln verharrt, bis der Mond hoch am Himmel gestanden und immer wieder zwischen Wolkenlücken hindurchgeblinzelt hatte. Schließlich hatte er sich aufgemacht und war durch den Fluß geschwommen, war an den Häusern am Rande des Dorfes vorbei bis zur Kirche geschlichen und hatte sich ihr von der Rückseite her genähert. An der Tür war ein Vorhängeschloß gewesen. Das Vorhängeschloß an der Tür, die zu den Räumen des Pfarrers führte, hatte er mit bloßen Händen samt dem Türbeschlag langsam aus der Verankerung gerissen und dann den Beschlag mit dem nun nutzlosen Vorhängeschloß auf den Boden gelegt.
    Im Innern hatte er jemanden schnarchen hören. Der Priester, ein alter, großer und fetter Mann mit rundem Kopf und struppigem grauem Haar war am Küchentisch eingeschlafen. Jean-Pierre umging die Küche und tastete sich zum Korridor, der zu jener Tür führte, hinter der sein Ziel lag. Sie war leicht zu finden. Auch der fast leere Kleiderschrank. Leer bis auf die Soutane …
    Fünf Minuten später, sein Bündel unter den Arm geklemmt, schwamm er wieder zum anderen Ufer des Flusses hinüber und verschwand in der Dunkelheit.
    Fast vierzig Jahre später träumte er immer noch von den Tagen in Paris, den guten wie den schlechten Zeiten. Er erinnerte sich noch an das Ende – wie Bruder Christos getötet worden war und wie man sie alle verraten hatte und wie Simon ihn, Jean-Pierre, fortgeschickt hatte, um sich in Sicherheit zu bringen. Er erinnerte sich und träumte, träumte von jenem Tag, an dem er vielleicht wieder gerufen wurde, weil man seine Dienste brauchte. Aber diese Aufforderung war nie gekommen, und die Jahre waren vorübergezogen, und er hatte an der kleinen Kirche

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