Assassini
Isolierbands klebten, über den Tisch. Dunn öffnete ihn behutsam und zog das handgeschriebene Manuskript heraus.
Tatsachen und Hintergründe im Fall Simon Verginius.
»Von keinem geringeren als Giacomo D’Ambrizzi«, sagte Peaches O’Neale lächelnd. »Hiermit erkläre ich diese Angelegenheit offiziell zu Ihrem Problem.« Jetzt sah er fast schon wieder wie der alte Peaches aus.
Elf Stunden später, kurz nach Mitternacht, ging das Spiel zwischen den New York Giants und den Philadelphia Eagles in das letzte Viertel – ein Match, das eher eine Schlammschlacht im halb gefrorenen Matsch des Stadions denn ein Footballspiel gewesen war. Peaches lümmelte im Sessel vor dem Fernseher in Dunns Arbeitszimmer und betrachtete niedergeschlagen die traurigen Überreste der Pizza und die leeren Dosen Diät-Cola.
Dunn blickte von dem Manuskript auf und grinste Peaches an. Er tippte mit dem Finger auf die vergilbten Seiten. »Mein lieber Mann, wäre das ein Stoff für einen Film!«
»Sicher, sicher. Und? Was halten Sie davon? Sie haben es jetzt oft genug gelesen, um es auswendig zu können …«
»Ich habe es in gewisser Weise auswendig gelernt. Ich möchte, daß Sie das gute Stück morgen früh wieder in Ihrer Aktentasche verstauen und es zurück nach New Pru bringen und wieder genau dorthin legen, wo Sie es gefunden haben. Wenn das hier an die Öffentlichkeit kommt – dann bewahre uns Gott vor dem Bösen, mein Junge.« Er tippte sich an die Stirn. »Alles, was ich brauche, ist jetzt hierdrin.«
»Und? Wer war denn nun dieser Simon Verginius? Und Archduke? All diese Decknamen? Wer waren diese Leute?«
»Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Aber ich werde es herausfinden. D’Ambrizzi stand diesem Simon auf jeden Fall sehr nahe, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Diesem Simon und auch all den anderen.«
Dunn buchte telefonisch einen Erster-Klasse-Flug für den nächsten Abend. Flugziel: Paris. Es galt, einen Mann zu finden. Erich Kessler.
Obwohl es schon sehr spät war, saß Schwester Elizabeth noch an ihrem Schreibtisch in der Redaktion der New World, obwohl ihre Gedanken um ganz andere Dinge kreisten als um jene, die mit ihrer journalistischen Arbeit zu tun hatten. Die Nachricht über die Krankheit des Papstes, lange Zeit ein wohlgehütetes Geheimnis auch bei der in Rom vertretenen Presse, breitete sich immer weiter aus; zuerst waren Artikel in römischen Zeitungen veröffentlicht worden, dann waren Fernsehberichte gefolgt. Das konnte nur bedeuten, daß die Krankheit auf keine Behandlungsmethoden mehr ansprach. Die Dinge standen offenbar so schlecht, daß irgend jemand aus der Kurie grünes Licht gegeben hatte: Es war nun an der Zeit, die Welt darauf vorzubereiten, daß sehr bald mit dem Tod Calixtus’ IV. zu rechnen war.
Wieder einmal überflog sie die Notizen, in denen sie die Charaktere D’Ambrizzis und Indelicatos umrissen hatte, und dachte darüber nach, ob neben diesen beiden Favoriten im Kampf um den Papstthron gegebenenfalls ein dritter Mitbewerber, ein vielleicht noch unbeschriebenes Blatt, in Frage kommen könnte, als Schwester Bernadine mit allen Anzeichen der Aufregung ins Büro gestürmt kam, die Tür hinter sich zuwarf, sich aufs Sofa fallen ließ und einen tiefen Seufzer ausstieß. Sie hatte gerade eine der üblichen Terminschlachten mit der Druckerei hinter sich und war sichtlich erschöpft.
Sie atmete tief durch und sagte: »Ich habe es trotz allem geschafft, die nächste Folge ihrer biographischen Hitliste zusammenzustellen.« Sie beugte sich vor und schubste die Akte über den Schreibtisch zu Elizabeth hinüber.
Elizabeth schlug die Mappe auf und blätterte die Seiten durch. »Irgend etwas Interessantes dabei?« Sie ließ den Blick über die Zeilen huschen, doch sie konnte nichts Bedeutsames daran entdecken.
»Sie waren alle ziemlich alte Semester …«
»Das ist nichts Neues.«
»Sie waren alle Katholiken.«
»Das wissen wir doch auch schon, Schwester.«
»Sie alle wurden ermordet …«
»Und es waren alles Männer. Also wirklich, Schwester. Was soll …«
»Und«, sagte Bernadine mit einem Lächeln, »sie alle waren während des Krieges in Paris.«
Elizabeth riß die Augen auf. »Ist das wahr?«
Bernadine nickte.
»Und haben Sie auch schon etwas über diesen Kessler herausgefunden?«
Bernadine schüttelte den Kopf. »Wie kann man über ein Gespenst etwas herausfinden?«
Bruder Jean-Pierre war im Sommer 1945 in das kleine Dorf in der Nähe von Hendaye an der
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