Assassini
eine, Guy, war schon lange tot. Man hatte ihn mit gebrochenem Genick auf irgendeinem Friedhof in Paris während des Krieges aufgefunden. Den anderen, Etienne, hatte ich kennengelernt, wenn auch das Vergnügen nur von kurzer Dauer gewesen war. Und Etienne hatte einen Simon Soundso erwähnt und geradezu panische Angst davor gehabt, daß dieser Simon mich aus Rom geschickt hätte – mich –, um ihn zu töten … ›um uns alle zu töten‹. Simon wer? Und wen alle töten? Richter und Etienne LeBecq?
Hier wurde es problematisch. Wie hatte LeBecq sich noch ausgedrückt? Mein einziger Schutz wäre meine Unschuld. Ja, er hatte gesagt, ich solle mich im Schutz meiner Unschuld verstecken, dann hätte ich die Chance zu überleben …
Und Simon war auch auf der Liste mit Namen beziehungsweise Decknamen aufgetaucht, die Gabrielle und ich im Terminkalender ihres Vaters gefunden hatten. Simon. Gregory. Paul. Christos. Archduke!
Ob ich jemals erfahren würde, wer diese Leute waren? Und was bedeutete dieses rätselhafte, irritierende Ausrufungszeichen? Was war an Archduke so Besonderes? Und waren es die Decknamen der Männer auf dem Foto? Plus dem des Fotografen?
Überhaupt, dieses Foto …
Bischof Torricelli in Straßenkleidung. Klaus Richter in Wehrmachtsuniform mit offenem Kragen; D’Ambrizzi; Father Guy LeBecq. Und der Mann, der die Aufnahme gemacht hatte. Was war das für eine Versammlung gewesen? Hatten sie über Richters Befürchtung gesprochen, daß die Resistance in die Kirche einsickern könnte? Bestimmt war es Torricellis Aufgabe gewesen, den Deutschen immer wieder den Nachweis zu erbringen, daß die Kirche nicht von Widerstandszellen durchsetzt war. Vielleicht war es bei diesem Gespräch darum gegangen. Oder hatten sie sich darüber unterhalten, wie die geraubten Kunstschätze aufgeteilt werden sollten? Guy LeBecqs Vater und Bruder waren an dieser Sache beteiligt gewesen; vielleicht hatte das auch für Guy selbst gegolten. Aber was hatte D’Ambrizzi in dieser Gesellschaft verloren? Und wer hatte Pere LeBecq auf dem Friedhof ermordet? Und warum?
All diese ungelösten Fragen drohten mich in den Wahnsinn zu treiben.
Und was hatte mein Besuch des Klosters in der Wüste erbracht?
Etienne LeBecq hatte sich umgebracht. Ein nicht wegzudiskutierendes, unabänderliches Faktum. Und allein meine Schuld.
Aber ich hatte den Namen des silberhaarigen Priesters mit dem Messer erfahren: August.
Und ich wußte, daß er seine Befehle aus Rom bekam.
Das war keine Spekulation, keine Theorie, es war eine Tatsache. Und sie jagte mir eine heilige Furcht ein.
August. Von Rom geschickt. Um zu töten.
Wer war dieser Mann?
Und, in Gottes Namen, wer hatte ihn geschickt?
Stunden später erwachte ich schweißgebadet aus einem äußerst unruhigen Schlaf; meine Augen brannten und meine Kehle war wie ausgetrocknet. Ich hatte wieder jenen Alptraum gehabt, der mich nun schon ziemlich lange verfolgte; nur daß diesmal ein bekanntes Gesicht hinzugekommen war – ein zweites bekanntes Gesicht – das diesen Traum sogar noch erschreckender gemacht hatte: Etienne LeBecq. In meinem Traum lehnte er noch immer am Bugrad seiner kleinen Privatmaschine; Käfer krochen aus dem Loch auf seiner Stirn und aus seinem offenstehenden Mund. Sein Körper war aufgedunsen, die Haut spannte sich; Gase hatten sich gebildet; er sah aus wie eine gräßliche aufgeblasene Puppe, die jeden Moment zu explodieren drohte, aber das war nicht einmal das Schlimmste. Es war die seltsame Neigung des Kopfes, die mich am meisten entsetzte, das angesengte, blutverklebte Haar und die Tatsache, daß er mich anstarrte, aus seinen blutunterlaufenen toten Augen anstarrte. Er sah aus wie die Person aus meinem alten, immer wiederkehrenden Traum oder erinnerte mich zumindest daran; jedenfalls sorgte er dafür, daß das Bild wieder ganz, ganz deutlich zu sehen war.
Er sah aus wie meine Mutter.
Als meine Mutter über das Geländer der Galerie in unserem Haus an der Park Avenue stürzte, hörte ich in meinem Zimmer das Geräusch, als sie aufprallte. Es war eine dreigeschossige Wohnung mit ungefähr zwanzig Zimmern, und das holzgeschnitzte Geländer der Galerie war zu niedrig; jeder sagte, es stelle eine Gefahr dar, und eines Tages würde jemand einen unfreiwilligen Kopfsprung machen. Ich saß also in meinem Zimmer und hörte mir im Radio die Übertragung eines Footballspiels der New York Giants an, was bedeutete, daß es ein Sonntag war. Mein Vater war irgendwo unterwegs, Val besuchte
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