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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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eine Schulfreundin, das Hauspersonal hatte seinen freien Tag, und ich war mit Mutter allein im Haus.
    Ich hörte das Geräusch: keinen Schrei, keinen Ruf, nur das Geräusch von zersplitterndem Glas und den Knall, als ihr Kopf auf dem Parkettboden des Foyers aufschlug. Foyer? Eigentlich mehr eine Eingangshalle, die an ein Schloß aus irgendeinem Märchen erinnerte. Zwei riesige Ölgemälde, eins davon ein Sargent, und einige Zwergbäume in großen gehämmerten Übertöpfen, ein Perserteppich unbestimmbarer Herkunft, zwei Büsten, ein bißchen kitschig, und eine durch die unbewegte Luft in die Tiefe stürzende Mutter; sie segelte an Staubflecken in Nischen und an gelben Nikotinstreifen vorbei, die Tausende von Zigarren hinterlassen hatten; sie fiel wie ein Stein, eingewickelt in den dünnen Stoff, aus dem ihre Nachtgewänder bestanden, hauchdünne Gaze, flatternd im Wind, und neben ihr schwebte ein Martiniglas – nein, sie hielt es noch in der Hand –, bei Gott, sie würde doch keinen Tropfen des von ihr so heißgeliebten Drinks verschütten, bloß weil sie Selbstmord beging, nicht, wenn ihre Kraft noch groß genug war, das Glas festzuhalten, als sie fiel und fiel und ihr Körper schließlich auf den Parkettboden schmetterte.
    Nun, wir haben niemals zugegeben, daß sie aus eigenem Entschluß in die Tiefe gesprungen war. Es war ein Unfall. Es war dieses verdammte niedrige Geländer. Der Gin. Der Wermut. Eine unglückliche Verkettung unvorhersehbarer Umstände. Niemals nahm jemand das Wort Selbstmord in den Mund. Gott bewahre! Doch kein Driskill! Aber ich wußte, ich wußte …
    Schmetterte auf den Parkettboden, hatte den ganzen Weg in die Tiefe das kostbare, fein geschliffene Glas aus Baccarat-Kristall festgehalten, hielt es immer noch, weil man ja nie wissen kann, wann man vielleicht einen kräftigen Schluck braucht, und sei es der letzte kräftige Schluck, und ich stürmte aus dem Zimmer und rannte die Treppe hinunter in die Halle, und dann fand ich sie. Das Glas war zerbrochen; der scharfkantige Stiel hatte sich durch ihre schmale, bleiche Hand gebohrt wie ein Nagel – eine kleine, schüchterne Verbeugung vor dem Katholizismus und seinen Symbolen. Ich mußte das Geräusch gehört haben, als das Glas zerbrochen war, das Geräusch, als ihr Schädel zerbarst, zerplatzte, all die Geräusche, die sich zu jenem Knall vereinigt hatten, als der Körper auf dem Parkett aufgeschlagen war – das Geräusch, das den Tod meiner Mutter so punktgenau markiert hatte. Als ich bei ihr anlangte, lehnte sie mit dem Rücken an einer handgeschnitzten Anrichte. Sotheby’s versteigerte sie später, wie ich mich erinnern kann, für fünfzigtausend und ein paar Zerquetschte, das Taschengeld eines arabischen Gentleman. Sie erschien mir unglaublich tot, als gäbe es Abstufungen des Todes. Vielleicht gibt es sie ja auch. Das Parkett war blutverschmiert, ihre Hand sah wie ein Klumpen Teig aus, und noch immer lief ihr Blut aus dem Mund, aus der Nase und über den Schädel. Ihr Haar war blutverklebt. Ihre Gesichtshaut hatte eine zarte bläuliche Färbung angenommen. Ihre Augen standen offen. Im Weiß der Augäpfel waren einige Äderchen geplatzt, so daß es aussah, als würde sie mich von der anderen Seite einer Glasscheibe anstarren, über die jemand Blut gekippt hatte. All diese Gräßlichkeiten waren ihr innerhalb von Sekunden zugestoßen -ja, im wörtlichen Sinne zugestoßen. Irgendwie hatte sie noch genug motorische Energie aufgebracht, oder Instinkt oder was auch immer, erst mit x Kilometern pro Sekunde auf dem Parkett aufzuschlagen und dann ihren zerschmetterten Gliedern den Befehl zu erteilen -obwohl sie schon tot gewesen sein muß, meine arme Mutter-, sich so zu bewegen, daß sie den Oberkörper in eine sitzende Haltung gebracht hatten, damit ihrem Sohn der Anblick eines unfeinen Todes mit weit gespreizten Armen und Beinen und womöglich noch dazu hochgerutschtem Nachthemd erspart blieb.
    Mom. Tot. Und da war sie wieder, zuerst diese gespenstische Szene im Flur des Hauses in der Park Avenue oder in Princeton -das war das wirklich einzige, was ich in all den Jahren zu verdrängen, zu vergessen versucht hatte, weil ich wußte, daß die Antwort auf die Frage nach dem Wo auch die Antwort auf die Frage nach dem Warum beinhaltete, eine Antwort, die zu schrecklich war, als daß ich sie ertragen oder sie mir auch nur hätte vorstellen können, denn es mußte der Grund für ihren Sprung in den Tod gewesen sein. Ja, da war wieder dieses

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