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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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betrachten, und zwar gezwungenermaßen, denn Vater brachte einen Geistlichen mit, einen Italiener, der Englisch sprach, allerdings mit einem starken Akzent. Val und ich begriffen aber irgendwie, daß Father – oder war er Monsignore – Giacomo D’Ambrizzi in seiner Soutane und den hochschäftigen, ausgebeulten schwarzen Schuhen mit der dicken Sohle eine Kriegstrophäe war, die Vater auf irgendeine seltsame Art und Weise erlegt hatte – ähnlich wie der verstaubte, mottenzerfressene, ausgestopfte Bär, der in einer Ecke der Rumpelkammer stand, oder wie der Löwen- und der Nashornkopf an den Wänden des Ferienhauses in den Adirondacks.
    Auf irgendeine kindliche Art und Weise betrachteten die kleine Val, damals fast vier, und auch ich Father D’Ambrizzi nach einiger Zeit als Familienmitglied. Er schien sich über unsere Zuneigung zu freuen, ja sie zu genießen. Ich kann unmöglich sagen, wie viele Huckepackritte er ertragen mußte, wie viele Dame- und Stadt-Land-Fluß- und Krocketspiele er in diesem Sommer mit uns gespielt hat, wie viele Stunden er im ersten Herbst dieses Friedensjahres mit uns verbrachte, als er Ausflugsfahrten im Heuwagen mit uns unternahm, als er Kürbislaternen schnitzte und draußen auf dem Teich hinter dem Obstgarten versuchte, das Schlittschuhlaufen zu lernen. Er schien so unschuldig zu sein, wie Val es war, und wie ich es damals sicherlich gewesen bin. Hätten alle Priester, die ich kennengelernt habe, seine Tugenden vorweisen können, wäre auch ich jetzt Geistlicher, nehme ich an, aber solcherart Spekulation ist inzwischen zu einer ziemlichen Sackgasse geworden.
    Father D’Ambrizzi arbeitete gern handwerklich, und ich saß dann oft stundenlang neben ihm und beobachtete fasziniert, was er gerade tat. So baute er zum Beispiel draußen im Obstgarten eine Schaukel, indem er zwei Seile und ein Brett an dem dicken Ast eines Apfelbaums befestigte. Ich hatte so etwas Schönes noch nie zuvor gesehen – aber dann übertraf er sich selbst, als er ein Baumhaus baute, das man über eine Strickleiter erreichen konnte. Und ihn dabei zu beobachten, wenn er mauerte, war sogar noch eindrucksvoller; die Art und Weise, wie er den Mörtel auftrug und ihn mit der Kelle glattstrich und Stein auf Stein setzte, in perfektem Lot. Diese Maurerarbeiten verrichtete er in unserer Hauskapelle wo die Wände an einigen Stellen schadhaft waren. Ich war sprachlos. Bald folgte ich ihm auf Schritt und Tritt, außer wenn er sich in sein Zimmer zurückzog und die Tür verschloß, um seine ›Arbeit‹ zu verrichten. Ich wußte, daß seine Arbeit furchtbar wichtig war. Niemals hat ihn irgend jemand gestört, wenn er in seinem Zimmer arbeitete.
    Doch wenn er dann wieder zum Vorschein kam, stand ich bereits ungeduldig wartend im Flur, und er nahm mich in seine langen, behaarten, affenartigen Arme, als wäre ich eine Puppe. Sein Haar war dick und schwarz und gelockt und kurz geschoren, so daß es wie eine Wollmütze auf seinem kantigen Schädel saß. Seine Nase war groß und lang und krumm, und die Lippen waren wie die eines Prinzen auf einem Renaissancegemälde verächtlich geschürzt. Er war gut fünfzehn Zentimeter kleiner als mein Vater und hatte eine Figur wie Edward G. Robinson, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Ich fragte sie einmal, was sie damit meine, und sie dachte kurz nach und sagte: »Naja, weißt du, Benji, er sieht halt wie ein Gangster aus, mein Schatz.«
    Mein Vater konnte nicht so leicht und unbeschwert mit Kindern umgehen wie D’Ambrizzi. Er wird damals sicher hin und wieder Stiche der Eifersucht verspürt haben, weil Val und ich eine so liebevolle Zuneigung zu dem Italiener entwickelt hatten. Nie waren wir auf den Gedanken gekommen, uns die Frage zu stellen, wie und warum er eigentlich bei uns aufgetaucht war; wir waren glücklich, ihn bei uns zu haben und ihn vergöttern zu können. Und dann, eines Tages, war er verschwunden, über Nacht verschwunden wie ein Traum; es schien fast, als wäre er nur ein Gebilde unserer Phantasie gewesen. Aber er ließ Val und mir zwei aus Knochen geschnitzte Kreuze als Geschenke zurück, Vals so zart und filigran wie aus Spitzen, meines dagegen schwer, massiv und männlich.
    Val trägt dieses Kreuz noch heute. Meines ist seit langer Zeit verschwunden.
    Kurz darauf sprach Vater mit uns über D’Ambrizzi, und er hatte sich zu diesem Anlaß eine für seine Verhältnisse ziemlich geschickte Taktik zurechtgelegt. Er erwähnte kein einziges Mal D’Ambrizzis Namen – Val und

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