Assassini
wenn ich meinen Platz in einer Welt eingenommen hätte, die er begreifen konnte, eine Welt, die mein Vater innerhalb gewisser Grenzen mitbeherrschen zu können glaubte. Auf seine egozentrische Weise war er überzeugt, wegen seines Reichtums und seines Einflusses und seiner Frömmigkeit sowie aufgrund seiner Hingabe zu Gott und wegen seiner guten Taten ein mitbestimmender Teil der Kirche innerhalb der Kirche zu sein. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, daß mein Vater sich zu hoch einschätzte, aber Teufel noch mal, was wußte ich denn schon?
Später erst wurde mir deutlicher, daß er vielleicht doch eine ziemlich präzise Einschätzung seines Einflusses und seiner Bedeutung vorgenommen hatte. Drew Summerhays hatte mir im Laufe der Jahre einige Informationen anvertraut, die den Schluß zuließen, daß mein Vater sich, auch was die Kirche betraf, zu Recht für einen sehr wichtigen Mann hielt. Summerhays war lange Zeit der Mentor meines Vaters gewesen, so wie Dad später der väterliche Freund und Ratgeber des allgegenwärtigen Curtis Lockhardt gewesen war. Und momentan schmiedeten, wie Summerhays mir gesagt hatte, mein Vater und Lockhardt gemeinsam Pläne, den nächsten Papst zu bestimmen.
Natürlich konnte ich mich auch auf eigene Erinnerungen stützen, die mir die Macht meines Vaters verdeutlichten und seine hohe Selbsteinschätzung gerechtfertigt erscheinen ließen. Als ich noch ein Junge war, kam Kardinal Spellman – er muß damals Bischof oder Erzbischof gewesen sein, wer kann das noch so genau sagen – oft zum Dinner von New York nach Princeton herüber, was ein Indiz dafür war, daß unsere Familie etwas Besonderes darstellte. Spellman war sowohl nach Princeton als auch in unser mondänes Zweifamilienhaus an der Park Avenue gekommen, das wir nach Mutters Tod verkauft hatten. Manchmal habe ich gehört, wie meine Eltern ihn mit ›Frank‹ anredeten, und einmal, als er mir sagte, daß er Schuhe aus Krokodilleder trage, habe ich geradezu Bauklötze gestaunt. Wahrscheinlich hatte Spellman mir nur deshalb über die Beschaffenheit seiner Schuhe Auskunft gegeben, weil ich auch bei ihm vergeblich nach tönernen Füßen gesucht hatte.
Mehr als zwanzig Jahre lag das jetzt zurück, aber nun war alles wieder gegenwärtig: die Erinnerungen an Spellman und meinen Vater und die Jesuiten und an jenen längst vergangenen Abend, als ich über die glatten Straßen nach Hause gefahren war und mich gefragt hatte, wie mein Vater wohl auf die neueste Enttäuschung reagieren mochte, die ich für ihn parat hatte.
Als ich damals am frühen Morgen, als der Schneefall fast aufgehört hatte und die Dunkelheit der Nacht dem ersten Grau des neuen Tages wich, aufwachte, war die Highway Patrol die Straßen abgefahren, um nach möglichen Opfern des Sturms zu suchen. Sie hatten meinen Chevy gefunden, den ich an einem Baum zu Schrott gefahren hatte. Totalschaden: der Wagen, der Baum und um ein Haar auch ich selbst, und es hatte keinen Hinweis darauf gegeben, daß ich versucht hatte, den Wagen auf der verschneiten Fahrbahn zum Stehen zu bringen. Darum war den Polizisten sofort klar, daß ich am Steuer eingeschlafen sein mußte. So was kommt schließlich vor. Nur – diese Theorie war Scheißdreck. Ich hatte mir ein Bein gebrochen und war halb erfroren, aber das wirklich Entscheidende war: Mir war mitten in der Nacht klar geworden, daß ich lieber sterben wollte, als meinem Vater von den Jesuiten und meinem Versagen zu berichten.
Göttliche Offenbarung. Es war der erste und einzige Augenblick in meinem Leben gewesen, an dem mir eine wirkliche Offenbarung zuteil geworden war. Natürlich kannte mein Vater die Wahrheit, wie sich später herausstellte. Natürlich wußte er, was ich in jener Nacht versucht hatte. Es war in seinen Augen zu sehen, in den lodernden Flammen unauslöschlicher Verzweiflung, die mich wie Leuchtfeuer an einer dunklen und tückischen Küste nach Hause lockten, nach Hause. Er wußte es. Er wußte, daß ich einen Selbstmordversuch unternommen hatte, die schlimmste aller Todsünden – und damit eine weitere Sünde, die er mir niemals vergeben würde.
Gott sei Dank gibt es Val. Das hatte er mir tatsächlich gesagt, damals, im Krankenhaus. Nicht als Anschuldigung mir gegenüber, auch nicht, um mich zu demütigen; er hatte es als schlichte Feststellung vor sich hin gemurmelt. Doch von nun an – nachdem ich bewußt versucht hatte, meinem Leben ein Ende zu machen, weil ich den Wünschen meines Vaters nicht hatte nachkommen
Weitere Kostenlose Bücher