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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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    Was diesen und all die anderen Vinnies betraf: Sie waren Gläubige. Hallorans Verhältnis zu Gott war ungetrübt. Er hatte mir immer wieder gesagt, daß ich irgendwo in meinem Innern ein ›Glaubensgeschwür‹ habe. Sein Glaube und sein Vertrauen galten indes nicht nur dem Herrgott – vielleicht nicht einmal hauptsächlich dem Herrgott –, sondern der Kirche selbst. Und was das betraf, waren wir einer Meinung. Ich hatte all die Vinnies bei der Arbeit beobachtet und gelernt, daß man Gott in irgendeiner zweckmäßigen mythischen Gestalt finden oder daran glauben konnte, daß er im Spülwasser lebte oder während einer Trockenperiode zu einem sprach – das alles spielte keine Rolle. Aber man tat besser daran, an die Kirche zu glauben, bei Gott.
    Nach dem Mittagessen stand ich in dem Büro, in dem ich seit fast zehn Jahren meine Arbeit tat, am Fenster und blickte hinaus auf den Battery Park und die beiden Türme des World Trade Center und die Freiheitsstatue, die durch den Smog und den Dunst, die sich wie immer am frühen Nachmittag verdichteten, nur schemenhaft zu erkennen war. Das Büro entsprach den Erwartungen, die ein Außenstehender in das Büro des Sohnes von Hugh Driskill gesetzt hätte, und derartige Erwartungen waren ein wichtiger Bestandteil des Geschäftslebens bei Bascomb, Lufkin und Summerhays. Da stand, zum Beispiel, ein englischer Schreibtisch aus dem neunzehnten Jahrhundert, dann ein Louis-XV-Eßtisch, darauf eine Epstein-Büste von Brancusi, und an der Wand hing ein Paul Klee. Sehr eindrucksvoll. Man konnte das große Zittern kriegen, wenn man sich nicht ganz schön selbstsicher fühlte. Geschenke von meinem Vater und meiner Exfrau Antonia, alle absolut dem Zeitgeist entsprechend und schweineteuer. Das New York Magazine hatte einst eine Serie über ›Schaltstellen der Macht‹ veröffentlicht, und unter anderem war auch mein Büro als eine solche vorgestellt worden, und es hatte ziemlich lang gedauert, bis ich diese Sache durch tadellosen Lebenswandel wiedergutgemacht hatte. Ich selbst hatte immerhin den Teppichboden meines Büros ausgesucht, und sowohl Hugh als auch Antonia hatten sich dahingehend geäußert, daß er wie der Boden des Kanarienvogelkäfigs aussähe. Bei dieser Gelegenheit waren die beiden, soweit ich mich erinnern kann, zum ersten und einzigen und letzten Mal einer Meinung gewesen. Zum Schluß hatten Antonia und ich nur noch eins gemeinsam: unser tiefes Mißtrauen der römisch-katholischen Kirche gegenüber, aber diese eine Gemeinsamkeit hatte nicht gereicht, um unsere Ehe zu retten. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Antonias gespanntes Verhältnis zur Kirche angeboren gewesen war, während ich das meine auf herkömmliche Art und Weise erworben hatte: Ich hatte es mir redlich verdient.
    Von Staten Island her wogte der Nebel in immer dichteren Schwaden heran, und vertraute Orientierungspunkte wurden zu schemenhaften Gebilden – als würden sich Wolken der Erinnerung über die Banalitäten des Alltags schieben. Wenn man erst die Mitte des Lebens erreicht hatte, bestand eine der Offenbarungen in bestimmten Erinnerungen – jedenfalls hatte ich den Eindruck. Sie schienen so wichtig zu sein, daß man sie niemals zur Seite schieben konnte. Sie machten ihre Rechte geltend, und man begann sich zu fragen, ob die Erinnerungen vielleicht die Schlüssel waren, mit denen sich all die verschlossenen Türen der eigenen Psyche öffnen ließen. Es war ein bißchen unheimlich.
    In unserem Elternhaus hatten sich immer ziemlich viele Priester aufgehalten, als Val und ich dort unsere Kindheit verlebten. Als Vater im Sommer 1945 aus dem Krieg nach Hause kam, war ich zehn Jahre alt. In jenen Jahren, da Vater außer Landes gewesen war und wir ihn nur während seines Heimaturlaubs zu sehen bekamen, gab es einen älteren Geistlichen mit dichtem, vollem weißem Haar, der großen Eindruck auf mich machte. Das war Father Polanski, der in unserer Familienkapelle die Heilige Messe las. Manchmal schlenderte er mit meiner Mutter und mir durch den Garten, und einmal schenkte er mir sogar einen eigenen Pflanzstock, aber wir kannten ihn eigentlich nicht besser als zum Beispiel den Mann, der sich um den Teich kümmerte, auf dem wir im Winter Schlittschuh liefen, oder die Jungs, die das Grundstück pflegten, den Rasen mähten und das Gras zusammenharkten und die Bäume im Obstgarten beschnitten.
    Erst als Vater aus dem Krieg heimkam, lernten Val und ich, einen Priester als menschliches Wesen zu

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