Assassini
Kirche in die Hände, ein Ungläubiger oder ein Päderast: Er wurde am felsigen Kiesstrand gekreuzigt, und das Kreuz wurde verkehrt herum im Sand eingegraben, so daß er vielleicht ertrank, wenn die Flut kam, noch bevor er am Blutverlust starb oder erstickte … Ich konnte diese alten Bilder und Geschichten, die ich vor einem Vierteljahrhundert gesehen und gelesen hatte, nicht vergessen, und nun, da ich einen solchen Ort zum erstenmal mit eigenen Augen sah, stand dies alles wieder ganz deutlich vor mir.
Ich lenkte den Wagen vom schmalen, holperigen Fahrweg, hielt an und stieg aus, spürte das Prickeln der salzhaltigen, beißenden Gischt auf dem Gesicht, die der heftige Wind bis hierher trug. Die irische Küste war der ideale Ort für diese fanatischen, ja wahnsinnigen Mönche, die sich gar nicht schlimm genug quälen konnten, bis sie endlich Befriedigung in der Buße fanden. Spitze, nackte Felszacken ragten in der Bucht aus dem Wasser, und die schroffen Klippen, die sich unmittelbar hinter dem schmalen Uferstreifen erhoben, waren so zersplittert und gezackt, als wären sie mit einem riesigen Hammer bearbeitet worden. Schrunde und Senken und Schluchten durchzogen die Felswände wie häßliche Narben; auf Überhängen und Felsleisten standen hier und da verkrüppelte, verkümmerte Bäume, deren Holz in der Feuchtigkeit faulte und zerbröselte. In den Felsspalten wucherte ein wildes Gewirr aus Dornengestrüpp und Stechginster. Doch gerade das Unbewohnte und Unbewohnbare bot diesen Mönchen ›zahlreiche Verlockungen, den Schmerz und die Qualen zu finden, die sie im irdischen Leben suchten‹; so hatte ich es vor langer Zeit einmal in einem Buch gelesen.
Vielleicht war es ein Atavismus, jedenfalls hatte ich das Bedürfnis, zwischen den Überresten dieser versunkenen Welt umherzuwandern; ich mußte erfahren, wie sich das alles aus der Warte eines unbedarften Pilgers dargestellt hatte, den ein launisches Schicksal und unberechenbare Stürme vor vielleicht fünfhundert Jahren an diese Küste verschlagen hatte. Hinter mir donnerte jetzt das Meer, gischtete über den Küstenstreifen, der blaß und hilflos zwischen den anrennenden Wellen und den aufragenden Felswänden lag. Und wie verloren wirkte das Kloster, umgeben von der unversöhnlichen See und dem öden, trostlosen Marschland: Höhlen und dunkle Fensterreihen starrten wie unergründliche schwarze Augen auf mich hinunter. Diese längst vermoderten Hundesöhne hatten ihre Klöster so gebaut, als wollten sie sich nicht nur vor der Welt verstecken, sondern sogar vor Gott, darauf hoffend, übersehen zu werden, vergessen … vergeben.
Das große ausgedehnte Klostergebäude war aus aufeinandergeschichteten, unbehauenen Steinen errichtet; die unteren waren von einer dicken, feuchten, dunkelgrünen Moosschicht bedeckt, die oberen mit blaßgrünen Moosflecken und ausgetrockneten Flechten, die eine matte braune Farbe angenommen hatten. Ein Turm mit einem Kreuz auf der Spitze erhob sich in den wolkendunklen Himmel; nur das hohle Jaulen des kalten Windes und das Donnern der Brandung waren zu vernehmen.
Ich ging an den bienenstockartigen Mönchszellen vorüber, welche die Außenmauer des Klosters bildeten und offenbar der älteste und inzwischen unbewohnte Teil waren, und achtete darauf, nicht über Felsbrocken und Steine zu stürzen, die sich schon vor Jahrhunderten aus der Wand des Gebäudes gelöst hatten. Ich warf einen Blick ins Innere, in die Dunkelheit, sah jedoch keinerlei Anzeichen von Leben, nahm nur den Geruch nach Meeresvögeln und Salzwasser wahr. Wie hatten die Mönche nur in solchen Gemäuern, an solchen Orten leben und gleichzeitig jene ornamentale Kunst hervorbringen können, vor der wir noch heute staunend stehen, die prachtvoll illustrierten Bücher und die Goldschmiedekunst, die an die Arbeiten aus der keltischen und germanischen Vorzeit anknüpften? Was für schöpferische Menschen, ja Genies waren das nur gewesen? Ich kannte die Antwort nicht und wußte, daß ich sie nicht einmal würde erahnen können, doch das half mir wahrscheinlich zu erklären, warum ich selbst vor so langer Zeit vom Pfad des Glaubens abgekommen war.
Schließlich ging ich zum Wagen zurück, schwer atmend, weil ich mich gegen die nicht eine Sekunde nachlassende Kraft des wütenden Windes stemmen mußte. Ich wußte, warum diese Mönche hier es anderen Brüdern nicht gleich getan hatten, was die architektonische Gestaltung des Klosters betraf. Ich hatte Klöster gesehen, die mit den
Weitere Kostenlose Bücher