Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
Vom Netzwerk:
einem schwachen Achselzucken versicherte. »Ich möchte zuerst einmal einige Fragen in den Raum stellen und die Antworten noch offenlassen«, sagte er. »Zunächst einmal die Frage, wessen Idee es gewesen ist, diesen Kader zu bilden. Simons Idee gewiß nicht. Die Befehle wurden von irgend jemandem in Rom erteilt -jedenfalls war das meine Vermutung, damals, als junger Mann, der in bestimmte … Geschehnisse verwickelt war, der eine Rolle spielen wollte. Irgendjemand führte von irgendwoher Simons Hand. Das ließ sich gewissermaßen indirekt beweisen, denn es kam zum Konflikt. Simon widersetzte sich einigen Befehlen. Und das war unser Verderben.«
    Die erklärten Ziele der Gruppe waren der Schutz der Kirche vor den Schäden, die der Krieg verursachte, die Bereicherung der Kirche durch Anteile an der Kriegsbeute und der Versuch, die Kraft und Stärke der Kirche zu wahren und zu mehren, so daß sie sich bestmöglich gegen einen ›inneren Flächenbrand‹, gegen die ›Feuerstürme der Begierde und des Wahnsinns‹ zur Wehr setzen konnte, mit anderen Worten: gegen den Krieg als solchen. In einem Staat, in einer großen Stadt, die von den Nazi-Invasoren beherrscht wurde, waren die mit solchen Zielvorstellungen verbundenen Implikationen offensichtlich und standen somit fast unvermeidlicherweise im Widerspruch zu den moralischen Grundsätzen einiger Mitglieder der Gruppe. Bruder Leo legte eine kurze Pause ein, ließ dies alles auf mich einwirken.
    Die Mitglieder der Gruppe, fuhr er fort, kannten einander nur unter Decknamen. Leo sagte, er habe diese Namen vergessen; ein Ergebnis harter Bemühungen, sie aus dem Gedächtnis zu verdrängen, sie zu begraben. Er behauptete beharrlich, sich auch nicht mehr daran erinnern zu können, wie viele Männer der Gruppe angehört hatten, und er wolle sich auch nicht mehr daran erinnern. Christos, ja, ein gewisser Christos sei dabeigewesen. Er gab zu, sich an diesen Decknamen entsinnen zu können – ich sollte bald herausfinden, warum. Damals seien sie, sagte Leo, eine ›perfekte katholische Gruppe‹ gewesen: streng und autoritär geführt; niemand habe es gewagt, offen und geradeheraus Fragen zu stellen, nicht einmal laut darüber nachzudenken – allenfalls in einem verborgenen Winkel des eigenen Verstandes. Befehle wurden erteilt, Befehle wurden ausgeführt. Entscheidungen wurden anderen überlassen. Die Männer betrachteten sich ausschließlich als Waffen im Dienst der Kirche. Es herrschte Krieg, und die Kirche war kaum je zuvor dem Kampf mit weltlichen Armeen aus dem Weg gegangen. In ihrer langen Geschichte hatte die Kirche nicht selten eigene Armeen ausgehoben, ihre eigenen Soldaten in die Schlacht geschickt – wenn nötig, um zu sterben, wenn erwünscht, um zu töten. In Paris, so fuhr er fort, hatte die Kirche nach langer Zeit wieder eine eigene Armee aufgestellt, eine neue Armee, und die Männer taten, was von ihnen verlangt wurde. Bruder Leo blickte ostentativ aufs Meer, aber ich hatte auch so begriffen: Sofern der Befehl zum Töten gegeben worden war, dann hatte man getötet.
    »Die Zeit hatte es notwendig gemacht, Befehle auszuführen«, sagte er. »Jede Art von Befehl. Alle Befehle. Sagen Sie’s nicht, Mister Driskill – ich stimme Ihnen zu: Daß wir Befehlen gehorcht haben, ist ein fade Rechtfertigung für die damals begangenen Morde. Es ist immer eine fade Rechtfertigung. Ob für einen SS-Mann im KZ von Treblinka oder einen durch die Elendsviertel von Paris schleichenden Priester bei der Verfolgung eines Opfers …« Bruder Leo zuckte die Achseln, blickte wieder aufs Meer hinaus. Die Schatten wurden länger, der Wind eisig. »Ich will mich oder die anderen ja gar nicht rechtfertigen. Ich will Ihnen nur erzählen, wie es gewesen ist, mehr nicht. Manchmal lautete der Befehl eben, einen Menschen zu töten. Zum Wohl der Kirche, natürlich. Alles geschah zum Wohl der Kirche. Wir haben geglaubt, die Kirche zu retten.«
    Aber meistens waren die Befehle anderer Natur gewesen. Normalerweise ging es um Handel. Den Handel mit Loyalität, den Handel mit bestimmten Aufträgen, welche die Gruppe ausführen konnte – ein Handel zum Wohle der Kirche. Handel mit den Nazis, mit der Wehrmacht, der SS, der Gestapo. Und als Gegenleistung profitierte die Kirche davon: Ein beträchtlicher Anteil geraubter Kunstschätze fand auf die eine oder andere Weise den Weg nach Rom; es waren vor allem Beutestücke, die jüdischen Familien geraubt worden waren, Menschen, die dann spurlos verschwanden.

Weitere Kostenlose Bücher