Assassini
Falls es notwendig war, behielt Simons kleine Gruppe auch die Resistance genauestens im Auge – eine Aufgabe, bei der Christos oft die Verantwortung trug. Nicht selten wurden sie in eine Lage gedrängt, in der sie keine andere Wahl hatten, als ihre französischen Freunde zu hintergehen, um den Nazis etwas zum Fraß vorwerfen zu können, um das empfindliche Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, so daß es möglich war, hier mal mit der Resistance zusammenzuarbeiten, dort mal mit den Nazis, aber immer für die Kirche, von der sie ja wußten, daß sie die Resistance-Kämpfer, die Nazi-Invasoren und den Krieg überdauern würde.
Doch es gab auch Zeiten, da ihre Aktivitäten sich nicht auf bloßen Handel beschränkten, nicht auf die simple Tatsache, einerseits die Resistance zu verraten und andererseits die Nazis zu sabotieren. Bei manchen Gelegenheiten verlangten die Nazis, daß ein Mensch beseitigt werden sollte. Warum hatten sie diesen Menschen dann nicht selbst getötet? Über diese Frage hatte Bruder Leo nach eigener Aussage lange und gründlich nachgedacht. War es eine Art Test, mit der die Bereitschaft von Simons Gruppe, mit den Invasoren zusammenzuarbeiten, auf die Probe gestellt werden sollte? Oder wollten die Nazis der Gruppe dadurch einfach nur ihren Willen aufzwingen?
Bruder Leo erinnerte sich an ein Ereignis, als der Bruch zwischen Simon und Christos für alle deutlich wurde. Und das bedeutete, daß es früher oder später in den Reihen der Gruppe zu Flügelkämpfen kam, da war Leo sicher gewesen. Die ganze Sache hatte mit einem Priester begonnen, welcher der Resistance angehörte …
Pere Devereaux war ein Geistlicher, der als Resistance-Kämpfer zu gefährlich geworden war. Ein SS-Offizier war entführt worden, und kurze Zeit später hatte man seine Leiche auf der Müllkippe eines Dorfes in der Nähe von Paris aufgefunden. Die Täter waren unbekannt, aber man wußte, daß die Dorfbewohner mit der Resistance sympathisierten, was zum großen Teil auf den Einfluß von Pere Devereaux zurückzuführen war.
Die SS verlangte eine Antwort auf den Mord. Der Priester sollte sterben, und den von Simon geführten Katholiken wurde der Befehl erteilt, Devereaux zu töten. Simon erklärte der Gruppe, daß dies nicht möglich sei und daß er der SS übermitteln wolle, ihre Antwort laute nein. Aber Christos, der hochgewachsene, durchgeistigte Priester aus Paris, hielt ihm entgegen, daß die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu den Nazis wichtiger sei als das Leben eines aufsässigen Geistlichen. Es herrsche schließlich Krieg, erklärte er, und in Kriegszeiten müßten selbstverständlich Männer sterben. Zum Wohl der Kirche müsse Pere Devereaux getötet werden, wie die SS es befohlen hatte.
Christos argumentierte, man müsse auf lange Sicht denken. Hier und da ein Mord – was bedeute das schon, verglichen mit der Kirche, mit der Existenz der Gruppe. »Wissen Sie, Mister Driskill«, sagte Bruder Leo leise, als das Rauschen des Meeres für einen Moment schwächer wurde, sagte es so beiläufig, als wäre es vollkommen belanglos, »wir waren die wiedergeborenen Assassini, wir hatten den Kampf für die Kirche wieder aufgenommen …«
Ein paar Morde wogen nicht schwer. Und die Opfer wurden ja nicht einmal ermordet! Es waren Verluste in der Schlacht, gefallene Soldaten. Christos bezeichnete sich selbst als Realist, als Pragmatiker. Einige Mitglieder der Gruppe hielten ihm vor, brutal und rücksichtslos zu sein. Doch er beharrte auf seinem Standpunkt, und schließlich lenkten die meisten anderen ein, schlossen sich ihm sogar an.
Simon wartete ab. Er hielt die anderen nicht auf. Und darum hatte er mit den Geschehnissen in dem kleinen Dorf nichts zu tun, in jener Nacht, als Devereaux ermordet wurde. Christos hatte gewissermaßen eine Splittergruppe gebildet, bemerkte Bruder Leo, hatte sich einige von ihnen unterworfen. »Aber nicht Simon, nicht mich und nicht den Holländer. Wir nahmen nur von Simon unsere Befehle entgegen. Wir standen nicht auf Christos’, sondern auf Simons Seite …«
Doch es gab noch andere Geschehnisse, scheußliche Aufträge mit tödlichen Folgen, und die Männer erfüllten weiterhin ihre Pflichten, taten, was von ihnen verlangt wurde. Simon und alle anderen. Und gleichgültig, wie der Krieg enden mochte: Die Kirche mußte darauf vorbereitet sein, sich mit dem Sieger zu verbünden. Die Kirche mußte überleben. Wußte man in Rom, was in Paris geschah? Wußte Papst Pius davon?
Unvorstellbare,
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