Assassini
völlig im dunkeln. Ich weiß zum Beispiel, daß Christos in Wahrheit Guy LeBecq hieß und der Sohn eines Kunsthändlers war, der sowohl mit der Kirche als auch mit den Nazis zusammenarbeitete. Aber Simon … wer war Simon?«
Er ignorierte die Frage, fuhr mit seiner Arbeit fort und sagte schließlich: »Nach dieser Nacht habe ich in Paris meine gewohnte Tätigkeit wiederaufgenommen, und damit war dieses Kapitel abgeschlossen. Eine Zeitlang jedenfalls. Bis der Collector aus Rom gekommen ist.«
»Ah, ja. Der Collector. Wie war sein richtiger Name?«
»Sie sollten nicht so ungeduldig sein, Mister Driskill. Wir haben hier sehr viel Zeit. Wenn schon kaum etwas anderes, so doch jede Menge Zeit.«
»Sie können mir meine Neugierde nicht zum Vorwurf machen«, sagte ich. »Wer war denn dieser Holländer, den Sie erwähnt haben? Und Little Sal, dessen priesterliches Leben so unerwartete Wendungen genommen hat? Was ist mit ihm geschehen?«
»Ich nehme an, auch sie sind in ihr früheres Leben zurückgekehrt. Das heißt, zumindest eine Zeitlang, bis …«
»Ich weiß, ich weiß. Bis der Collector kam.«
»Ganz recht. Er hat uns aufzuspüren versucht, wissen Sie.« Bruder Leo erhob sich, stützte sich auf einen der alten Grabsteine. Verdorrte, einst gelbe Blumen lagen auf dem Grab verstreut. »Simon war der einzige wirklich große Mann, den ich jemals gekannt habe. Verstehen Sie? Für ihn zählte nur die Treue zu Gott und der Kirche. Vielleicht könnte ich heute rückblickend sagen, daß wir Dinge getan haben, die wir nicht hätten tun sollen, aber es war für jedermann eine schlimme Zeit, ein Kampf auf Leben und Tod. Simon aber war anders als die anderen – und sogar die Heiligen haben Fehler gemacht und Schwächen gehabt, nicht wahr?«
»Das ist aber sehr vorsichtig ausgedrückt«, sagte ich.
»Simon war genauso. Aber er war ein großer Mann. Sein Mut war schier grenzenlos.«
»Nun sagen Sie schon. Wer war dieser Mann?«
»Mister Driskill, bitte. «
»Aber Sie haben ihn gekannt. Wirklich gekannt …«
»Sagen wir mal so: Ich habe ihn beobachtet. Wir haben uns einige Nächte zusammen versteckt. In Scheunen, zum Beispiel. Er hat mit mir geredet. Er hat sich gefragt, ob wir richtig handeln, ob es wirklich um das Wohl der Kirche geht. Er hat dieses Problem von allen Seiten betrachtet, und ich habe ihm zugehört. Er war weitaus intelligenter als ich. Er war ein profunder Kenner der Vergangenheit. Er hat sich eingehend mit geschichtlichen Fragen beschäftigt. Und es war Simon Verginius, der mir vom Geheimkonkordat der Borgia erzählt hat.«
Bruder Leo führte mich vom Friedhof, schlenderte langsam zu den Klippen hinunter.
»Wovon?« rief ich, um eine plötzliche, donnernde Explosion der Brandung zu übertönen, die gegen die Felsen schlug.
Er lehnte sich an einen verkrüppelten Baum, schob die Hände in die Taschen seiner schmutzigen Hose. Wieder klang seine Stimme so, als würde er von etwas völlig Belanglosem reden, einem unbedeutenden Kapitel der Kriegsgeschichte. Er sprach leise, denn die See hatte sich wieder beruhigt.
»Simon sagte, es handle sich um ein geheimes Konkordat, ein schriftliches Abkommen zwischen Papst Alexander, dem Borgia, und jener Vereinigung von Männern, welche die – wie hat Simon es noch bezeichnet -ja, die ›schwierige Arbeit‹ erledigt haben. Seine Mordaufträge. Simon hat uns als die Nachfolger dieser Männer bezeichnet, die vor fünfhundert Jahren gelebt haben. Er hat uns einen lebendigen Bestandteil der Kirchengeschichte genannt. Er hat mir erzählt, daß er dieses Geheimkonkordat mit eigenen Augen gesehen habe …« Leo hielt inne und blickte hinunter auf die schäumende Brandung; auf seinem Gesicht spiegelte sich tiefer Ernst. »Hat er es beschrieben? Existiert es noch?« Er blickte auf, lächelte ob meiner Ungeduld. »Während des Krieges und in den Wirren danach ist so vieles zerstört worden oder verlorengegangen. Aber was das Konkordat betraf- Simon war wie besessen von dieser Urkunde, von ihrer Geschichte, ihrem Schicksal. Er hat behauptet, es enthalte nicht nur die Namen jener getreuen Männer, die Papst Alexander gedient haben, sondern all ihrer Nachfolger, über die Jahrhunderte hinweg, in ungebrochener Folge. Die Liste wurde immer wieder ergänzt, seit Alexander sie erstellt hat. Ich habe Simon nicht so recht geglaubt, es erschien mir zu phantastisch … aber andererseits – in der Kirchengeschichte gibt es mehr als genug sagenumwobene, geheimnisvolle Dokumente, nicht
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