Assassini
wollte er zu verstehen geben, daß solche Dinge für ihn alltäglich waren. »Er ist absolut vertrauenswürdig …«
»Kein Mensch«, rief Vezza plötzlich mit erhobener Greisenstimme, da sein Hörgerät offensichtlich zu leise eingestellt war, »ist dermaßen vertrauenswürdig!« Dann begann er zu husten; ein trockener Husten, erworben in einer siebzig Jahre währenden Laufbahn als Kettenraucher. Auch jetzt hielt er eine Zigarette zwischen den nikotingelben Fingern mit den rissigen Nägeln.
Antonelli, ein großer, blonder Mann Anfang Fünfzig, der zehn Jahre jünger aussah, räusperte sich, um den anderen zu verstehen zu geben, ihre kindischen Zänkereien bleibenzulassen. Antonelli war gelernter Anwalt; eine ruhige, zurückhaltende Führungspersönlichkeit im Kardinalskollegium, ungeachtet seines vergleichsweise niedrigen Alters. »Ich nehme an, es ist noch mehr auf dem Band. Dürften wir es hören?«
Poletti nickte, beugte sich vor und drückte die Wiedergabetaste. Aufmerksames Schweigen breitete sich aus, als die dünnen Stimmen wieder aus dem Lautsprecher drangen.
Der silberhaarige Priester … wer ist dieser Mann?
Ich weiß es nicht.
Ihr Informantennetz, versetzt mich immer wieder in Erstaunen. Aber, sagen Sie, wo ist Driskill?
Sie sind ein Könner auf dem Gebiet der Observierung. Vielleicht haben Sie zuviel Zeit damit verschwendet, mich beobachten zu lassen, Fredi.
Offensichtlich nicht gut genug.
Also haben wir neun Morde – und einen Selbstmord?
Nun, wer weiß, Heiligkeit? Es ist eine Schreckensherrschaft. Niemand kann sagen, wie viele es gibt … und wie viele es noch geben wird.
Wieder eine Pause, das gedämpfte Geräusch eines Aufpralls, Stimmengewirr.
Poletti schaltete den Recorder aus.
»Was war das zum Schluß für ein Gepolter?« wollte Vezza wissen.
»Seine Heiligkeit hat einen Kollaps erlitten«, sagte Poletti.
»Wie steht es überhaupt um die Gesundheit des Heiligen Vaters?« fragte Ottaviani. Er wußte natürlich bis ins Kleinste Bescheid; seine Quellen waren hervorragend. Er wollte nur erfahren, ob Poletti ebenfalls Bescheid wußte.
»Er liegt im Sterben«, sagte Poletti, und ein dünnes Lächeln huschte über sein Gesicht.
»So viel weiß ich auch, aber …«
»Zur Zeit erholt er sich von seinem Zusammenbruch. Aber wir sind nicht hier, um uns über Calixtus’ Gesundheitszustand den Kopf zu zerbrechen – das ist nicht mehr von Belang! Es ist zu spät, sich um Calixtus noch irgendwelche Gedanken zu machen, sollte dies einem der verehrten Anwesenden entgangen sein. Wir sind hier zusammengekommen, um uns über den nächsten Papst zu unterhalten …«
»Und«, sagte Ottaviani – er war ein kleiner, verhärmt aussehender Mann mit verkrümmtem Rücken, den Poletti als eine Art Kainsmal betrachtete –, »ich vermute doch wohl richtig, daß Sie Klarheit über die Chancen Ihres persönlichen Kandidaten auf den Papstthron haben möchten.« Er lächelte schief, was irgendwie zu seinem mißgestalten Körper paßte.
Poletti betrachtete die Gruppe; dann faßte er Ottaviani ins Auge. Er preßte die Lippen zusammen, denn am liebsten hätte er dem Buckligen gegenüber seine tiefe Abneigung zum Ausdruck gebracht und ihm ins Gesicht gesagt, daß er ihn für einen unausstehlichen alten Krüppel hielt, der sich und anderen keinen größeren Gefallen erweisen könnte, als sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. Dann betrachtete er sich selbst in dem goldgerahmten Wandspiegel. Es war zwar eine bedauerliche Feststellung, aber auch er selbst war nicht gerade eine Schönheit mit seinem kleinen, haarlosen Kopf, der wulstigen Oberlippe und dem fliehenden Kinn: ein tennisspielender Kirchenfürst, der aussah wie ein Affe. Er nahm rasch den Blick vom Spiegel. Ein Mann konnte an einem einzigen Morgen nur ein gewisses Maß an traurigen Wahrheiten vertragen.
»Wir werden angegriffen, wie Kardinal Indelicato es ausdrückt«, sagte er. »Das ist die Situation, der wir ins Auge schauen müssen, meine Herren, nun, da bald die Wahl des neuen Papstes ansteht! Wir müssen schließlich berücksichtigen, daß der Mann, den wir unterstützen werden …«
»Sie reden wie ein Politiker«, sagte Vezza ein wenig traurig. Er hatte sein Hörgerät diesmal offenbar zu laut eingestellt, denn seine Stimme war kaum zu vernehmen.
»Mein lieber Gianfranco«, sagte Garibaldi geduldig, »es ist Politik. Was sollte es denn sonst sein? Göttliche Eingebung?«
»Wenn man es recht betrachtet, ist letzten Endes alles Politik«,
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