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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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gewußt hatte, was jeder aufgrund seiner Persönlichkeit und seines Werdegangs von sich geben würde. Er war vierundsiebzig Jahre alt, ein Mann mit gutem Gedächtnis und weit zurückreichenden Erinnerungen, der über beinahe alles und jeden im Vatikan Bescheid wußte. Indelicato, D’Ambrizzi: Es war ihm wirklich vollkommen gleichgültig, welchen Verlauf die Dinge nahmen, da er die Meinung vertrat, daß jene Gruppe, deren zahlendes Mitglied er nun schon seit vierzig Jahren war – die Kurie –, letztendlich sowieso ihren Willen durchsetzte. Das hatte sie immer schon getan. Er hatte nie einen Papst erlebt, der genügend Rückgrat besaß, sich nicht früher oder später dem Druck der Vatikan-Intrigen zu beugen. Was er vorhin im Halbschlaf miterlebt hatte, war nichts weiter als eine kleine Verschwörung. Er hatte an sehr vielen solcher Treffen teilgenommen, hatte in viele brodelnde, blubbernde Kessel voller klerikaler Begierden geblickt. Dieser hier hatte wegen Antonellis Beteiligung allerdings besonderes Gewicht. Falls diese Männer sich tatsächlich entschließen sollten, Indelicato zu unterstützen, dann hatte der Mann die allerbesten Aussichten, Papst zu werden. Was Vezza betraf, so war er nicht mehr sonderlich daran interessiert. Er hatte vor drei Monaten erfahren, daß seine Nieren ihn im Stich ließen. So wie die Dinge lagen, konnte sogar Calixtus ihn überleben. Der Name des neuen Papstes stand ziemlich weit unten auf der Liste seiner Sorgen, doch eine Sache ging ihm nicht aus dem Kopf.
    Vezza und Poletti standen am Rande des Zufahrtsweges in der kühlen Brise, die über den Kamm des Hügels wehte, und warteten auf den schwarzen Mercedes. Vezza erhöhte die Empfangsstärke seines Hörgeräts.
    »Sagen Sie mal, mein guter Tonio«, wandte er sich an Poletti, »auf den Bändern, die Sie sich beschafft haben, redet jemand von neun Morden – habe ich das richtig verstanden?«
    »Das war seine Heiligkeit.«
    »Ich bin zwar ein alter Mann, der Probleme mit dem Gehör hat, darum habe ich vielleicht einiges nicht ganz mitbekommen. Aber lassen Sie uns versuchen, die Mordfälle zu rekapitulieren, um Klarheit zu schaffen: Da waren Andy Heffernan und unser alter Freund Lockhardt in New York, die Nonne Schwester Valentine in Princeton und der Journalist Heywood in Paris. Dann der Selbstmord dieses LeBecq in Ägypten, obwohl ich zugeben muß, daß dieser Name mir nichts sagt. Vier Morde und ein Selbstmord. Und nun möchte ich Sie um Hilfe bitten, falls mir irgend etwas entgangen ist. Wenn ich richtig gerechnet habe, fehlen noch fünf Morde. Wie erklären Sie sich das? Wer waren die fünf anderen?«
    Poletti sah den schwarzen Mercedes zwischen den hohen Hecken heranrollen, die vom Tor aus den Zufahrtsweg säumten. Gott sei Dank konnte dieses Gespräch nur noch wenige Augenblicke dauern. Vezza hatte die Gabe, urplötzlich die heikelsten Fragen zu stellen.
    »Na, kommen Sie schon«, sagte der alte Mann. »Helfen Sie einem alternden Kollegen. Wer waren die fünf anderen?«
    »Ich weiß es nicht, Eminenz«, sagte Poletti schließlich. »Ich weiß es einfach nicht.«
     
    Ganz am Rande der Sinneswahrnehmung hörte Calixtus die Standuhr schlagen, die auf der anderen Seite des Schlafzimmers stand, aber das Geräusch schien irreal. Irgendwo in den Tiefen seines Bewußtseins war ihm klar, daß er im Bett lag, daß es zwei Uhr morgens war und daß diese Uhr zur Nachtwache läutete. In letzter Zeit schien er nachts lebendiger zu sein als tagsüber, schien sich in der Dunkelheit zu Hause zu fühlen. Sein zu neunzig Prozent schlafendes Gehirn ließ ihn seufzen, und er konnte es hören, konnte ziemlich deutlich hören, wie der vom Wind vorangepeitschte Schnee am Dach und an den Wänden rüttelte, jener eisige Wind, der durch den Engpaß fegte, durch die Kiefern raste, die von der Last des Schnees gebeugt waren.
    Er, Sal di Mona, stand in der Tür der Holzfällerhütte; ein dicker Schal schützte seinen Hals und bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts. Der Wind, der von den Bergen kam, schien ohne Unterlaß zu wehen. Als er den im Mondlicht liegenden Hohlweg hinunter blickte, hatte er das Gefühl, seine Augäpfel würden einfrieren. Kein einziger Farbtupfer war mehr zu sehen; die Landschaft schien wie ausgeblutet. Der Schnee war weiß, alles andere pechschwarz. Die Bäume, die Felsbuckel, die Schatten, die Fußabdrücke, die wie Nadelstiche im Schnee auf der Bergflanke aussahen und hinunter zum schwarzen Band der Schienen führten, die

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