Assassini
er und Simon eine Stunde zuvor noch überprüft hatten. Der Fluß verlief in Kurven und Wendungen entlang der Schienenstrecke.
Zurück in der Hütte, betrachtete er die sechs anderen Männer. Einige dösten mit flatternden Lidern, andere lasen bei Kerzenlicht. Einer betete lautlos den Rosenkranz; nur seine Lippen bewegten sich. Simon erhob sich von einem einfachen Stuhl, schob das Buch, in dem er gelesen hatte, in die Tasche seines Mantels, und zündete sich eine Zigarette an. Er blickte Sal di Mona in die Augen und lächelte. »Eine lange Nacht«, sagte er und schob sich an dem kleineren Mann vorbei. Er trat hinaus ins Freie und blieb vor der Tür stehen, massig, wuchtig, unerschütterlich wie ein Felsblock; er starrte hinüber zu dem klaffenden Einschnitt zwischen den Berghängen; der Rauch seiner Zigarette wehte hinter ihm durch die Tür.
Der harzige, feuchte Geruch in der Hütte hatte sich nach der Ankunft der Gruppe verändert. Jetzt roch es nach frisch eingefetteten Maschinengewehren, nach warmen, schwitzenden Körpern und brennendem Feuerholz, das inzwischen zu glühenden Kohlen zusammengesackt war. Es war gleichzeitig heiß und kalt. Nichts war normal, nichts war wirklich. An dem Plan, der den Männern zuvor so heroisch erschienen war, war nun nichts Heldenhaftes mehr. Jetzt waren sie nur noch eine Gruppe angsterfüllter Männer, die alles aufs Spiel setzen wollten, um einen Mann zu töten, der am nächsten Morgen in aller Frühe mit dem Zug durch den Engpaß kommen würde. Nein, keine Spur mehr von Heldentum. Nur noch Beklemmungen und dunkle Ahnungen, Angst, Knoten im Magen und zitternde Knie.
Sal di Mona hatte noch nie einen Menschen getötet. Er würde auch den Mann im Zug nicht töten. Man hatte ihm keine Waffe gegeben. Seine Aufgabe bestand darin, mit Hilfe der Handgranaten die Schienen zu sprengen und den Zug zum Halten zu zwingen. Drei von den anderen – der Holländer und ein weiterer Mann, unter Simons Führung – würden die Gewehre benützen. Sal di Mona konnte draußen das Geräusch von Schritten hören, das Knirschen von Schnee unter Stiefelsohlen, als Simon die Hütte umrundete; dann machte Sal sich auf den Weg zu seinem Beobachtungsstand, den sie auf einem Felsvorsprung eingerichtet hatten und von dem man ein paar hundert Meter Schienenstrang ungehindert übersehen konnte. Es würden noch mehr als zwei Stunden vergehen, bevor die verräterische Rauchsäule der Dampflokomotive auftauchte, aber Simon wie auch Sal di Mona konnten nicht schlafen, konnten einfach nicht mehr stillsitzen.
Eine Stunde später waren alle eingeschlafen – bis auf Simon, der im Innern der Hütte an einer Wand lehnte und eine Zigarette rauchte, und Little Sal, der im Kerzenschein auf sein Brevier starrte, ohne auch nur ein Wort in sich aufzunehmen.
Plötzlich duckte sich Simon, schlich zu Sal hinüber und drückte die Kerzenflamme zwischen Daumen und Zeigefinger aus.
»Draußen ist jemand«, flüsterte er. »Da bewegt sich jemand.«
Er packte Sals Arm und zog ihn zu der niedrigen Hintertür der Hütte hinüber, wo das schräge, nach hinten geneigte Dach fast die steile Flanke des Hügels berührte. Der Holländer war ebenfalls aufgewacht und folgte ihnen. Die drei Männer krochen nach draußen, tasteten sich unter dem Dachvorsprung entlang bis in den Schatten eines Holzstapels.
In der Stille drangen Geräusche an ihre Ohren. Soldaten. Das leise Klicken von Metall auf hölzernen Gewehrkolben und kalten stählernen Läufen, das leise Knirschen von Schritten im Schnee, das gedämpfte Flüstern. Sie waren irgendwo zwischen den Bäumen. Und dann kam ein Dutzend von ihnen langsam zum Vorschein, als sie den Hügel hinunterkamen, um sich der Hütte von vorn zu nähern. Sie wußten augenscheinlich nichts von der Hintertür. Sie schienen es nicht eilig zu haben.
»Deutsche«, flüsterte Simon. Sal di Mona sah, wie das Licht des Mondes von den runden Gläsern der Brille eines der Soldaten reflektiert wurde.
»Aber wie …«
»Na, wie schon? Wir sind verraten worden.«
Simon kroch das kurze Stück zur Hütte zurück, um die anderen zu wecken, aber die schattenhaften Gestalten hatten sich inzwischen so weit voran bewegt, daß sie nicht mehr zu sehen waren; sie mußten sich jetzt schon ziemlich nahe an der Hütte befinden. Sal di Mona versuchte zu begreifen, was vor sich ging, doch alles lief zu schnell ab. Er hatte zwei Handgranaten in den Taschen seines Mantels. Der Holländer hielt das Maschinengewehr in den
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