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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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Ich stieß die Tür auf und trat als erster ein. Im Flur wehte mir kalter Wind entgegen, und man konnte den Regen hören und riechen. Irgendwo stand ein Fenster offen. Wir gelangten in ein großes, geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer mit einem Kronleuchter, einem Kamin im Rokoko-Stil, goldgerahmten Spiegeln, einigen alten Gemälden und niedrigen Möbeln, die mit Tüchern verhängt waren. Ich hatte das Zimmer etwa zur Hälfte durchquert, als ich mattes, graues Licht durch einen Türspalt fallen sah. Ich blieb stehen, lauschte.
    Jemand weinte, leise, gedämpft, von gelegentlichem schwerem Schluchzen unterbrochen. Es war ein unsäglich trauriges, einsames Geräusch, untermalt vom leisen, beständigen Rauschen und Tröpfeln des Regens. Ich ging zur Tür hinüber, öffnete sie langsam. Dahinter lag ein Arbeitszimmer. Durch die geöffneten Fenster konnte ich in der Ferne, schemenhaft in Dunst und Dunkelheit, die flirrenden Lichter des Eiffelturms erkennen. Die Vorhänge bewegten sich träge im Wind. In einer Ecke des Zimmers stand ein Schreibtisch, von einer schwachen Lampe in trübes Licht getaucht. Und hinter diesem Tisch saß jemand, die Hände vors Gesicht geschlagen, und weinte leise, nahm seine Umgebung gar nicht wahr.
    Ich mußte irgendein leises Geräusch verursacht haben, weil die Person die Hände vom Gesicht nahm und zu mir hinüberblickte. Es war keine plötzliche, hektische Bewegung, sondern geschah langsam, als würde diesem Menschen alles gleichgültig sein, als könnte ihn nichts mehr erschrecken.
    Für einen Augenblick glaubte ich, eine Halluzination zu haben, so unerwartet traf mich der Anblick dieses Gesichts. Es war Schwester Elizabeth.
    Wie kann ich schildern, welcher Aufruhr widerstreitender Gefühle in meinem Innern entbrannte, in dem Moment, als ich Elizabeth erkannte? Ich hatte oft, sehr oft an sie gedacht, seit ich sie zum letztenmal gesehen hatte; manchmal hatte ich die Erinnerung an sie herbeigesehnt und manchmal versucht, jeden Gedanken an sie zu verscheuchen. Und jetzt traf ich sie hier wieder, völlig unerwartet, und die Erinnerung an den Zorn, den ich in Princeton auf sie verspürt hatte, wurde verdrängt von einem Gefühl der Wärme und Zuneigung – doch nur für einen Augenblick; dann wurde mir wieder die rauhe Wirklichkeit bewußt, Elizabeth’ Haltung und ihre Weigerung, mir zu helfen.
    Sie trug das traditionelle Ordensgewand, und ihr langes, braunes Haar war streng nach hinten gekämmt und durch Spangen festgehalten, so daß ihre hohe Stirn und ihre gerade Brauen und die großen grünen Augen betont wurden. Sie hatte ihren Regenmantel achtlos auf die ansonsten leere Schreibtischplatte geworfen. Ihr Gesicht war tränenüberströmt.
    Es wäre so einfach gewesen, die alten Streitigkeiten zu vergessen, zu vergeben, zu ihr hinüberzugehen und sie in die Arme zu schließen, gleichgültig, wer oder was sie war … was sie war, nur das zählte, das gab den Ausschlag … doch sie war so unglaublich schön, so hilflos, so traurig, und sie wandte den Kopf leicht zur Seite und wischte sich mit den Knöcheln über die verweinten Augen wie ein kleines Mädchen, und dann blickte sie mich an und lächelte, und die Freude, mich wiederzusehen, war so deutlich auf ihrem Gesicht zu erkennen, so greifbar, so aufrichtig – ich wollte zu ihr gehen, sie berühren, aber ich wußte, daß ich dann endgültig verloren war, unwiderruflich. Nein, sie war für mich gestorben, sie war so tot wie Val. Mein ganzes Leben, alles, was ich hatte erfahren und erleben müssen, war der Beweis.
    Ich starrte sie immer noch an, als Father Dunn ins Zimmer kam, mit einem Blick die Situation erfaßte und sagte: »Himmel und Hölle, was steht uns denn noch alles bevor?«
    Father Dunn kannte ein ruhiges kleines Restaurant in der Nähe, eine Querstraße weiter an der Rue St.-Philippe-du-Roule. Die Einrichtung war rustikal, die Wände aus Fachwerk, die hölzerne Decke von dicken Balken getragen. Kerzen standen auf den Tischen, ein Kaminfeuer warf flackernde Schatten an die Wände. Es roch nach Knoblauch und Gewürzen und aromatischen, nach Wein duftenden Soßen. Die Baguettes waren frisch und warm, und der vin du pays charaktervoll und rassig. Der Wein machte mich einerseits wieder munter, stieg mir andererseits aber in Rekordzeit zu Kopf und betäubte die Überraschung und das Unbehagen ob Elizabeth’ so plötzlichem und unerwartetem Auftauchen.
    Sie sagte, sie habe den ganzen Tag noch keinen Bissen zu sich genommen, und sie sah

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