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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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Situation so überzeugend wie nur möglich dargestellt, und dort war man dann so freundlich gewesen, ihm Lockhardts Adresse in Paris zu nennen und ihm sogar den Schlüssel auszuhändigen. Die Wohnung lag – nicht verwunderlich, wenn man Lockhardts Geschmack und seine finanzielle Potenz berücksichtigte – in einem der vornehmsten und teuersten Wohngebiete von Paris, in unmittelbarer Nähe der Rue du Faubourg-St.-Honore, nur einen Steinwurf vom Elysee-Palast entfernt, den die französischen Staatspräsidenten ihr Zuhause nennen dürfen, und unweit der Amerikanischen Botschaft und dem unvergleichlichen Bristol-Hotel. Vor langer Zeit hatte mein Vater einen Streit mit der Geschäftsführung des Bristol gehabt, und daraufhin hatten wir unsere Sympathien und unser Geld dem George V. zukommen lassen; dennoch hegte ich noch immer eine stille Liebe zum Bristol, einem Hotel, das es sich leisten konnte, einen Gast wie Hugh Driskill zu verlieren, ohne ihm auch nur eine Träne nachzuweinen.
    Wir wußten nicht, ob Val Lockhardts Haus jemals bewohnt hatte, aber wir würden es wohl bald erfahren. Wir winkten ein Taxi heran und nannten dem Fahrer die Adresse. Kurz hinter der Kreuzung mit der Rue La Boetie überquerten wir die Seine. Ich konnte mich erinnern, daß Bischof Torricelli Val und mir damals, als wir mit unseren Eltern Paris besucht hatten, in der Rue La Boetie Nummer 19 unsere ersten echten französischen Croissants spendiert hatte. Für uns waren sie das leckerste gewesen, was man sich überhaupt vorstellen konnte, dick mit Butter bestrichen und mit eingebackenen süßen Fruchtstücken. Wir haben sie dann jeden Tag gegessen, und wir tranken auch unseren ersten café au lait dort. Der Bischof hatte uns erklärt, daß vor langer Zeit ein späterhin berühmter Schriftsteller im Alter von dreizehn Jahren hier in der Rue La Boetie Nummer 19 ebenfalls Bekanntschaft mit diesen Croissants gemacht und unsere Begeisterung geteilt hatte. Ich war dieser Aussage später mal nachgegangen, in der Annahme, daß es sich bei dem Schriftsteller um irgendeinen Franzosen handeln mußte, von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Wie sich herausstellte, hatte der Dreizehnjährige in den Jahren 1856 und 1857 Paris besucht, und er war keineswegs Franzose gewesen, sondern Amerikaner, dessen Werke ich später zu lesen mir gelobte. Ich habe es dann aber nicht ganz geschafft, sämtliche Bücher von Henry James zu lesen. Henry James. Nummer 19, Rue La Boetie. Croissants. Val. Dies alles war mir während der Fahrt durch den Kopf gegangen, und als die Taxe schließlich hielt, stieg ich aus, schlug den Mantelkragen zum Schutz gegen Wind und Regen hoch und blickte auf das Straßenschild. Wehmütige Erinnerungen an einen fernen Sommertag überkamen mich, an den alten Bischof, an die Croissants und meine kleine Schwester in ihrem rosafarbenen Kleidchen. Das lag jetzt gut dreißig Jahre zurück, und sie war tot und ich folgte ihren letzten Spuren, und das einzige, das vielleicht noch übriggeblieben war, mochten die Croissants von Nummer 19 sein, nachdem ich auch in Henry James’ The Golden Bowl ungefähr in der Mitte des Buches steckengeblieben war. Gott, o Gott, wie sehr ich meine kleine Schwester vermißte.
    Wir standen vor einem stillen, grauen Gebäude, umgeben von einer Aura aus Würde und Vornehmheit. Und sehr viel Geld. Dieses Haus hinter dem großen, eisernen Tor hätte einen Kronprinzen beherbergen können. Oder Geheimnisse, die mit Geld nicht zu bezahlen waren. Das Gebäude schien irgendwie erhaben zu sein über die Zeit, den Tod und das Finanzamt. Aber Lockhardt war tot und Val war tot, und vielleicht hatte sie in diesem Haus gewohnt.
    Dunn öffnete Tor und Eingangstür. Er sagte der Concierge Bescheid und kam kurz darauf, leise vor sich hin summend, zu mir zurück und führte mich zum Lift, einem altmodischen Gitterkasten. Die Wendeltreppe führte darum herum in die Höhe und bildete gewissermaßen den Aufzugsschacht. Eine luftige Angelegenheit. »Penthouse«, sagte Dunn und drückte den Knopf für die oberste Etage.
    Oben angelangt, stiegen wir aus der Kabine. Ein Tisch mit frischen Schnittblumen, flauschige graue Teppiche, ein großer Wandspiegel. Nobel. Stilvoll. Gedämpfte Atmosphäre. Es gab zwei Wohnungen hier oben; eine davon hatte Lockhardt gehört.
    Unerklärlicherweise stand die Tür zu seinem Apartment etwa zehn Zentimeter weit offen. Dunn warf mir einen raschen Blick zu und zuckte die Achseln, legte den Zeigefinger auf die Lippen.

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