Assassini
»So einfach ist das. Ich kann nicht plötzlich umdenken. Ich habe meine Lektion vor langer Zeit gelernt, aber ich habe sie vergessen, und dafür haben Sie gesorgt. Ich habe vergessen, wie Sie sind, ihr alle … ihr, die Kirche, ihr seid wie eine ansteckende Krankheit. Wie kann man einem solchen Monstrum dienen? Wie kann man sich ihm mit Leib und Seele hingeben? Die Kirche ist nicht edel, o nein, nicht selbstlos – sie hat einen unersättlichen Hunger, sie verzehrt die Menschen, sie saugt sie aus wie ein riesiger Vampir, sie frißt das Leben aus ihnen heraus, bis nur noch eine leere Hülle übrig bleibt, sie kann nur fordern, niemals geben, und sie fordert alles, sie ist erbarmungslos … Wie können Sie Ihr Leben einem so gottverdammten, verlogenen Verein hingeben, wo doch das wirkliche Leben außerhalb der Kirche liegt, ein sinnvolles Leben, ein Ort, an dem man der Mensch sein kann, der man sein möchte? Ich habe Ihre Persönlichkeit gespürt, doch Sie sind dabei, sie im Namen Ihrer Kirche zu töten …«
Ich weiß nicht, wie sie es schaffte, während meiner Tirade so gelassen zu bleiben. Ich hatte nur eine Erklärung dafür: Vielleicht lag es eben daran, daß sie Nonne war – einer der kleinen Scherze, wie Gott sie schon so oft mit mir getrieben hatte. Vielleicht gab ihre Kirche ihr die Kraft, das alles so unbewegt zu schlucken. Sie war klug genug, mit ihrer Antwort zu warten, bis uns der Kellner frischen Kaffee und Sandwiches gebracht hatte. Vielleicht wartete sie auch deshalb so lange, damit ich Zeit genug hatte, mir wie ein Dummkopf vorzukommen und mich womöglich sogar für meine Anwürfe zu entschuldigen. In diesem Falle hätte ich ihr allerdings gesagt, daß sie bis in alle Ewigkeit hätte warten können – über den Tag des Jüngsten Gerichts hinaus.
»Ich hatte nicht von Anfang an die Absicht, Ordensschwester zu werden. Es ist einfach irgendwie … so gekommen. Nein, falsch. Das hört sich so an, als würde ich es als eine Art Unfall betrachten, und so war es ganz und gar nicht. Im Gegenteil, es war beinahe unvermeidlich, wenn man meine Lebensumstände und meine Persönlichkeit berücksichtigt. Die Entscheidung, ob ich Nonne werden und mich in den Dienst der Kirche stellen soll oder nicht, habe ich mir lange und reiflich überlegt. Einige der näheren Einzelheiten möchte ich Ihnen nicht schildern. Ich werde Ihnen nur eine Art Abriß geben …
Ich bin in der Eisenhower-Ära aufgewachsen – das ist so etwas wie ein Schlüsselbegriff, meinen Sie nicht auch? Meine Eltern waren gläubige Katholiken und ziemlich betucht. Vater war Arzt, und Mutter hat jede freie Minute für kirchliche Arbeit geopfert. Meine Großeltern und meine Vettern und Cousinen und Freunde und … na ja, jeder, den ich kannte, war Katholik. Mein Bruder, Francis Terhune Cochran – das ist übrigens unser Familienname, Cochran –, hat öfters erwähnt, daß er Priester werden wolle. Das haben natürlich alle Jungen getan, genauso, wie alle Mädchen eine, na ja, Nonnenphase durchlebt haben. Aber für gewöhnlich war das eine vorübergehende Erscheinung. Natürlich.
Als ich zehn war, wurde John F. Kennedy, ein Katholik, zum Präsidenten gewählt. Mein Gott, war das eine Freude! Wir haben damals in Kenilworth gewohnt, in der Nähe von Chicago, und Bürgermeister Daley hatte die Wahl für Kennedy gewonnen – oder gestohlen, hat man damals gesagt –, und das machte die ganze Sache noch viel schöner. Es war, als hätten wir unsere Schlacht um die Bürgerrechte gewonnen. Ein Katholik im Weißen Haus – Sie und Ihre Familie müssen damals doch genauso gejubelt haben, zumal Ihr Vater ja ziemlich gute Beziehungen zum Weißen Haus besitzt, wie ich annehme, während mein Dad ja nur Arzt war. Was für eine wunderbare neue Welt schien sich anzubahnen. Aber dann kam die Katastrophe, und alles zerbrach in tausend Stücke, alles änderte sich.
Ich war dreizehn, als Kennedy ermordet wurde. Damals kamen die Beatles groß heraus und stellten die ganze Musikwelt auf den Kopf – ziemlich tolle Eindrücke für ein dreizehnjähriges Mädchen. Die Rolling Stones, die Auflehnung der Jugend gegen das sogenannte Establishment, und Haschisch und Marihuana, und dann die Zeit von Hair und den Hippies und Vietnam, und ich kam in das Alter, wo man für die Jungs die Beine breitmacht und sich betatschen läßt. Ein katholisches Mädchen, du lieber Himmel. Ich kann Ihnen sagen – besonders, wenn es einem Spaß gemacht hat, was die Jungs mit einem machten und
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