Assassini
Wunden schlagen konnte, und Angst vor meinen Gefühlen ihr gegenüber. Ich sprach kaum ein Wort mit ihr, konnte aber den Blick nicht von ihr nehmen. Sie trug einen grauen Rock mit Fischgrätenmuster, einen dunkelblauen Pullover, lederne Stiefel und eine Windjacke. Ich wußte, daß Dunn und ich sie irgendwie hätten davon abhalten müssen, mit uns hierherzukommen. Aber sie war so leicht nicht aufzuhalten. Allenfalls durch Mord, wie Val.
Leicht gereizt und atemlos vom Gewühle, fanden wir uns auf einem Platz unterhalb der gewaltigen Festungsmauer des päpstlichen Palasts wieder, auf dem es von Menschen nur so wimmelte. Die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden, und es wurde schlagartig kalt. Die Mauern des Palasts erhoben sich wie Felswände. Bunte Lichter fielen über den Platz, denn an den Mauern hingen Lampen in verschiedenen Farben, und wir wurden von der Woge aus Leibern beständig hin und her, vor und zurück getragen. Im Gelächter der Menschen lag fast etwas Bedrohliches, und es schwang auch in ihrer kindlichen Fröhlichkeit mit.
An einer Seite des Platzes war eine Bühne errichtet worden. Dort fand eine turbulente, derbe Commedia-dell’-arte-Vorstellung statt; il dottore und all die anderen Figuren brüllten und hüpften und tollten improvisierend vor dem dichtgedrängten Publikum herum. Das Gelächter krachte und rollte wie Gewitterdonner, spontan, orgiastisch, sinnlich, aber ich nahm nur die Masken der Schauspieler in mich auf, die ihnen ein außerirdisches, raubtierhaftes, entstelltes Aussehen verliehen. Riesige Fackeln loderten an beiden Seiten der Bühne; Schatten hüpften und sprangen wie Mörder aus einem ganz anderen Stück durch die abendliche Dämmerung. In meinen Gedanken war nichts als Unheil und Gefahr. Ich sah nichts, über das ich hätte lachen können.
Schwester Elizabeth entdeckte einen kleinen, freien Tisch auf einer leicht erhöhten Plattform vor einem Café, unter blauen und roten und gelben Lampen, die an Drähten hingen, die zwischen den nassen, laublosen Bäumen gespannt waren – Gespenster aus dem längst vergangenen Sommer. Wir setzten uns, schafften es, die Aufmerksamkeit eines Kellners auf uns zu lenken, und warteten schweigend, als er sich einen Weg durch das Labyrinth der voll besetzten Tische bahnte. Wir bekamen beide einen Becher heißen Kaffee, an dem wir uns die Hände wärmten, während wir der Aufführung zuschauten.
»Sie machen einen so hoffnungslosen Eindruck, Ben. Steht die Sache so schlecht für uns? Sind wir den Antworten auf unsere Fragen denn nicht schon sehr nahe gekommen?« Elizabeth trank einen Schluck von ihrem Kaffee, auf dem eine dicke Schicht Sahne schwamm. Ich wußte schon vorher, daß ein kleiner Schnauzer aus Schaum auf ihrer Oberlippe zurückbleiben und daß sie ihn langsam und genüßlich ablecken würde. Sie hatte ihre Fragen ganz unverfänglich gestellt, den Blick von mir genommen und die schattenhafte Menge betrachtet, all die Köpfe, die auf und nieder hüpften, um einen Blick auf die lärmenden, herumtollenden Schauspieler zu erhaschen.
»Ich weiß es nicht. Hoffnungslos? Herrgott, ich bin müde, und ich habe Angst. Angst, getötet zu werden, und Angst vor dem, was ich herausfinden werde, falls ich lange genug überlebe. Ich bin in Irland noch mal davongekommen, gerade noch mal davongekommen, und was ich dort erlebt habe …« Ich ging zu weit, war im Begriff, die Mauer, die ich um mich herum errichtet hatte, niederzureißen. »Aber es besteht kein Anlaß, näher darauf einzugehen. Es war sehr, sehr schlimm. Und Sie haben recht, irgend etwas stimmt nicht mit mir.«
»Sie haben zuviel durchgemacht«, sagte sie.
»Das ist es nicht allein. Sie wären beinahe ermordet worden, Elizabeth, und ein Mann ist ums Leben gekommen … aber Sie sind nicht voller Angst und Verzweiflung wie ich. Irgend etwas in meinem Innern ist zerstört. Ich kann den Anblick Bruder Leos nicht vergessen … aufgedunsen und blutüberströmt … und dieser Arm, der mich heranzuwinken schien. Je näher ich dem Ende zu kommen glaube, dem Herzen der Finsternis, in dem alle Antworten verborgen sind – und das ist Rom, Schwester, Rom –, je näher ich diesem Ende komme, desto größer wird meine Angst. Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich noch davor fürchte, getötet zu werden. Ich glaube nicht. Aber ich habe schreckliche Angst vor dem, was ich herausfinden könnte. Val hatte es herausgefunden, ich weiß es. Sie hatte alles herausgefunden …« Ich schüttelte den Kopf
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