Assassini
damaligen Geschehnisse den Kopf zu zerbrechen, und ich glaube, das war recht gehandelt. Ich habe getan, was getan werden mußte und was ich für angebracht hielt. Gewiß nicht die richtige Einstellung, wenn man ein guter Priester sein möchte. Aber es hat mich nie sonderlich gekümmert, ob ich ein guter Priester war oder nicht. Ich wollte ein guter Mensch sein.« Er blickte auf die Uhr. »Morgen abend um diese Zeit in Indelicatos Villa – und der letzte Akt beginnt. Bis dahin, guten Abend.« Er blieb noch einmal in der Tür stehen, blickte zu uns hinüber. »Seien Sie vorsichtig.«
An diesem Abend saß ich auf meinem Zimmer im Hassler und dachte über D’Ambrizzis Geständnis nach. Father Dunn war kurz nach dem Kardinal gegangen, um sich irgendwelchen privaten Dingen zu widmen; er hatte kein Wort über seine »enge, freundschaftliche Beziehung« zum Kardinal verloren, wie dieser es ausgedrückt hatte. Ich spielte gar nicht erst mit dem Gedanken, Schwester Elizabeth aufzusuchen. Ich hatte mich ihr gegenüber schon dämlich genug benommen und nicht die Absicht, in dieser Disziplin einen olympischen Rekord anzustreben.
Also saß ich auf meinem Zimmer und versuchte mir vorzustellen, wie D’Ambrizzi in den Bergen auf den Zug gewartet hatte, der Papst Pius nach Paris bringen sollte. Die Kühnheit seines Plans war atemberaubend. Was wohl geschehen wäre, hätte er Erfolg gehabt? Hätte die Kirche dann einen großen Mann gefunden, einen wirklich großen Papst, der die Nazis als diejenigen bloßgestellt hätte, die sie wirklich gewesen waren? Hätte die innere Entwicklung der Kirche einen anderen Verlauf genommen? Wäre sie als wahre, glaubwürdige moralische Führungsinstanz aus den Trümmern Europas auferstanden? Und wäre die Kirche eine andere geworden – wäre ich selbst ein anderer Mensch geworden? Wäre ich Priester in einer verwandelten Kirche geworden, die -weil Pius mit dem Leben davongekommen war – nie existiert hatte?
Mein Leben war nicht so verlaufen, wie es hätte verlaufen sollen, und ich hatte den Preis dafür bezahlen müssen. Ich hatte die Kirche verloren, und ich hatte die Liebe meines Vaters verloren, und irgendwann hatte ich sogar beide zu hassen begonnen. Wie wäre wohl alles gekommen, hätten D’Ambrizzi und seine kleine Bande es tatsächlich geschafft, Pius zu ermorden? Hätte ich die Kirche und meinen Vater dann nicht verloren?
Ich gelangte zu der Einsicht, daß ich mir die Antwort auf diese Frage nicht leisten konnte.
Aber eines ließ mir keine Ruhe. Wer hatte die Pius-Verschwörung verraten?
Meine Rückenwunde war fast völlig verheilt. Die Narbe war glatt und trocken, die Wundränder zusammengewachsen. Der Schmerz, den ich hin und wieder noch verspürte, war kein quälendes, scharfes Bohren mehr, nur noch ein dumpfes Pochen. Ich ließ Wasser in die Wanne laufen, so heiß, daß die Spiegel im Bad augenblicklich beschlugen. Ich öffnete eine Flasche Scotch, die Dunn in einem Lokal aufgestöbert hatte, das vor allem von durstigen Briten besucht wurde. Er hatte einen beinahe süßen Geschmack, war aber dennoch gehaltvoll, kräftig und rauchig. Einen so guten Scotch hatte ich noch nie getrunken. ›E’Dradour‹ stand auf dem Etikett. Dunn hatte mir gesagt, daß dieser Scotch aus der kleinsten Brennerei Schottlands komme. Father Dunn. Ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen, welche Rolle er in dieser ganzen verdammten Geschichte eigentlich spielte, aber wenn es um geistige Getränke ging, wußte der Mann, was Sache war. Dann lag ich in der Wanne, mit einem Glas E’Dradour on the rocks und noch einem und noch einem. Irgendwann war die halbe Flasche leer und ein Teil meiner Sorgen in weite Ferne gerückt.
Ich war sehr müde, und vielleicht spielte es gar keine so große Rolle, daß nichts mehr das war, was es zu sein schien, und niemand der, für den ich ihn hielt. Rom, römische Winkelzüge, römische Intrigen, sie verschluckten mich, verschlangen mich gänzlich, in einem Stück, und ich wußte, daß niemand mich vermissen würde. Es war ein seltsames, beunruhigendes, aber auch tröstliches Gefühl. Vielleicht zählte ich selbst gar nicht mehr so viel. Ich wäre kein großer Verlust … Tja, in Rom machte man eben alles anders. Wenn man in Rom war, erwartete man von einem, das zu tun, was die Römer taten. Aber wer konnte jemals wissen, was sie taten?
Mein Gott. D’Ambrizzi hatte versucht, den Papst zu ermorden.
Und er hatte LeBecq getötet – den falschen
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