Assassini
ich …«
»Das war keine Frage. Ben, ich bin normalerweise ein sehr disziplinierter Mensch, in meinem Beruf und meinem Terminkalender und mit meinem methodischen Verstand. Vielleicht halten Sie das für eine Lüge, aber es ist keine. Ich bin jetzt schon ziemlich lange Nonne, und ich gebe zu, daß ich bestimmte Denkkategorien entwickelt habe – was mein Leben betrifft, meine Gefühle, meinen Glauben, das Bild, das ich von mir selbst habe. Ich habe nicht die Absicht, Sie mit alldem zu langweilen, aber Sie müssen verstehen, daß es einfach übermächtig ist, wie ich zu denken und zu reden und zu glauben gelernt habe. Und jetzt komme ich ausgerechnet zu Ihnen – zu einem verrückten ehemaligen jesuitischen Novizen, der kompliziertere Beweggründe für seinen Haß auf die Kirche und schärfere Abwehrmechanismen entwickelt hat als jeder andere, der mir bis jetzt über den Weg gelaufen ist. Aber das bedeutet nicht, daß ich Sie nicht mag und mir keine Sorgen um Sie mache, auch wenn Sie sich keine Gelegenheit entgehen lassen, mich wie das letzte Stück Dreck zu behandeln. Naja, aber wenn ich Sie so ansehe, dann sag’ ich mir, Mädchen, der Junge ist gar nicht so dumm, aber paß auf, daß er dich nicht hereinlegt … Also, ich möchte von Ihnen nur eins, und zwar die Antwort auf eine einzige Frage. Dann brauchen Sie nur noch zu warten und darüber nachzudenken, ob Sie vielleicht nicht ganz so voller blindem, hirnlosem, abgrundtiefem Haß gegen die Kirche sein sollten, die, weiß Gott, ihre Fehler und Schwächen hat …«
»Worauf soll ich warten?«
»Ob Sie herausfinden, was ich als nächstes tun werde, nehme ich an.«
»Wie lautet die Frage, Schwester?«
»Haben Sie ehrlich gemeint, was Sie mir gesagt haben?«
»Ich habe sehr viel zu Ihnen gesagt. Einiges habe ich so gemeint, wie …«
»Sie wissen ganz genau …«
»Also, wenn Sie nur hierhergekommen sind, um einen neuen Streit vom Zaun zu brechen …«
»Sie haben gesagt, daß Sie mich lieben. Und jetzt möchte ich …«
»Sicher habe ich das zu Ihnen gesagt. Sie möchten wissen, ob ich den Verstand verloren habe, nicht wahr? Die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Ist es die Sache wert? Was hat es für einen Zweck, mich wieder der Kirche zu opfern? Wer braucht den verrückten Glauben an diesen ganzen Hokuspokus?«
»Auf einen Klugscheißer legt erst recht niemand Wert, Ben.«
»Ich habe nie behauptet, daß Sie oder sonst jemand mich brauchten.«
»Ich möchte wissen, was Sie damit gemeint haben, als Sie mir sagten, daß Sie mich lieben.«
»Hat das schon mal jemand zu Ihnen gesagt? Ich meine, ein Mann?«
»Ja. Aber es gibt die Liebe in einem Kabrio, wenn man siebzehn ist, und es gibt die Liebe. Was haben Sie mit ›Liebe‹ gemeint?«
»Ich bin um einiges älter als siebzehn. Liebe, Schwester. Ich habe Liebe gemeint. Tut mir leid, ich mache es Ihnen nicht gern schwer, aber ich hatte damit gemeint, daß ich Sie liebe. Also, wenn Sie noch eine weitere Frage haben, dann hoffe ich inständig, daß Sie nicht wissen möchten warum. Ich weiß es nämlich nicht. Liebe, die Liebe passiert einfach, Schwester. Vielleicht ist diese blöde Erklärung der Beweis, daß ich verrückt bin. Vielleicht ist sie aber auch der Beweis dafür, daß es doch jemanden gibt, den ich lieben kann. Und das auch noch jetzt, wo ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte. Was wollen Sie noch von mir? Es ist mitten in der Nacht!«
»Keine weiteren Fragen. Ich muß nachdenken. Es kann eine Weile dauern. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie Ihre Meinung ändern.«
Und dann war sie verschwunden, bevor ich so recht wußte, wie mir geschah. Ich wußte es sowieso nicht mehr. Ich stand in meinem Schlafanzug da und starrte auf die Tür.
Auf was hatte ich mich da eingelassen?
Es war schlicht unglaublich, ganz einfach.
Eine Nonne.
5 DRISKILL
Es müssen Tausende von Kerzen gewesen sein, die im Foyer der Villa Indelicato flackerten, im Ballsaal an den Wänden der düsteren Flure. Die Villa war im sechzehnten Jahrhundert erbaut worden und seitdem Stammsitz dieser Adelsfamilie gewesen. Kardinäle, Staatsmänner, Wissenschaftler, Bankiers, Gauner, Dichter, Lebemänner, Generäle, Diebe – das Indelicato-Blut hatte im Laufe der Jahrhunderte die verschiedensten schillernden Gestalten hervorgebracht. Die Villa hatte nur einen kleinen Teil dieser langen Ahnenreihe erlebt, die letzten sieben, acht Generationen. Sie war prunkvoll und riesig, hervorragend instandgehalten von einem Stab, der nie
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