Assassini
war straff nach hinten gekämmt. Er sah mich und hinter mir Sam Turner und sagte: »Oh, hallo, Ben. Das ist aber eine Überraschung, Sam … Na, was habt ihr denn für ein Problem?«
Ich berichtete ihm und er beobachtete mich; seine klaren blauen Augen blickten starr in die meinen. Als ich geendet hatte, sagte er: »Gib mir deine Hand, Sohn. Jetzt ist es an der Zeit, daß wir zusammenhalten, Ben.« Ich spürte seine Kraft, als wäre sie körperlich greifbar; ein Strom, der sich in mein Inneres ergoß. »Sie hat das Leben gelebt, das sie sich gewünscht hat, und sie wußte, daß wir sie geliebt haben. Sie hat Gott gedient, und ein besseres Leben kann man nicht führen. Sie war nicht krank, und sie hat nie die Schwächen und Gebrechlichkeiten des Alters kennengelernt. Sie lebt jetzt an einem besseren Ort, Ben, vergiß das nie. Und eines Tages werden wir alle wieder vereint sein, auf ewig. Gott hat deine Schwester wahrhaftig geliebt.« Seine Stimme war fest und klar, und er legte einen Arm um meine Schultern. Ich bin selbst eins-siebenundachtzig und ein ziemlich schwerer Brocken, aber ich kam mir winzig vor. Alles, was er gesagt hatte, war Scheißdreck, sicher, aber es half mir trotzdem, mich zusammenzureißen, und ich wußte, daß ich über Vals Tod hinwegkommen würde. Irgendwann. Ich wußte, ich konnte damit fertig werden.
»Sam«, fragte mein Vater, »wer hat meine Tochter ermordet?« Er wartete gar nicht erst auf eine Antwort, sondern ging uns voran in den Long Room, ließ den Blick über die dort Versammelten schweifen, sagte: »Ich brauche einen kräftigen Schluck.« Und öffnete eine Flasche Laphroaig.
Der arme Sam Turner wußte nicht, wer meine Schwester getötet hatte. Er redete eine Zeitlang leise mit meinem Vater. Peaches hatte im verrußten Kamin ein großes Feuer entfacht. Father Dunn war zu einer Randfigur degradiert, seit Peaches ihn meinem Vater vorgestellt hatte.
Peaches sagte, er wolle gern über Nacht bleiben, einfach mit mir zusammensitzen und reden, falls ich es wünsche, aber ich lehnte dankend ab. Ich glaube, der wirkliche Grund für seinen Vorschlag war der, daß er nicht zurück in sein Pfarrhaus in New Pru wollte, um dort die Nacht einsam mit seinen Erinnerungen verbringen zu müssen. Aber schließlich machte Sam Turner sich auf den Heimweg, und Peaches und Father Dunn leerten ihre Gläser und schlossen sich ihm an, gemeinsam, so wie sie auch gekommen waren. Ich stand am Fenster und beobachtete, wie die beiden abfuhren. Father Dunn, der millionenschwere Romancier, in einem neuen Jaguar XJS, Peaches in einem alten Dodge-Kombi mit einer Beule an einem Kotflügel.
Als ich mich umwandte, goß mein Vater gerade wieder Scotch über frische Eiswürfel in unseren Gläsern. Sein Gesicht war von der Hitze, die der Kamin abstrahlte, leicht gerötet. Er reichte mir mein Glas. »Es wird eine lange Nacht. Das hier wird dir vielleicht guttun. Was wolltest du überhaupt hier?«
Ich erzählte ihm, was sich den Tag über ereignet hatte, spürte, wie der Whisky durch meine Adern strömte und die zitternden Nervenenden beruhigte. Ich ließ mich in einen der senffarbenen Ledersessel sinken und streckte die Beine zum Kaminfeuer hin aus.
Er blickte auf mich hinunter, ließ die bernsteinfarbene Flüssigkeit im Glas kreisen und schüttelte den Kopf. »Verdammt. Was hatte das Mädchen auf dem Herzen?«
»Es hatte irgendwas mit ihren Nachforschungen zu tun. Irgend etwas, das sie entdeckt hat oder auf das sie zufällig gestoßen ist – vielleicht in Paris oder … Tja, ich weiß es auch nicht …«
»Du willst mir doch wohl nicht weismachen, daß sie Angst bekommen hat, nur weil sie in einem Stapel muffigem altem Schund aus dem Krieg herumgewühlt hat!« Er wurde plötzlich wütend. »Zweiter Weltkrieg! Was soll das denn damit zu tun haben, daß man sie hier in Princeton ermordet hat?« Seine Trauer entlud sich jetzt in hilflosem Zorn. »Beruhige dich«, sagte ich.
»Das ist doch alles völlig lächerlich. Nein, ich bin sicher, du siehst Zusammenhänge, die es gar nicht gibt. Du vergißt, daß wir in Zeiten leben, in denen jeden Tag Menschen völlig grundlos ermordet werden. Sie ist in die Kapelle gegangen, um zu beten, und hat irgendeinen Verrückten aus der Kälte und dem Sturm herbeigelockt. Ein völlig sinnloser Tod!«
Ich hielt ihn nicht davon ab, sich selbst einzureden, daß Val zufällig von einem Geisteskranken getötet worden war und daß nichts weiter dahintersteckte. Mein Vater hatte die Furcht in
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