Assassini
mit dem gestrigen Abend hatte er sich irgendwie verändert. Zwar waren wir nicht wieder zu Feinden geworden, aber wir waren auch keine Verbündeten mehr. Es schien, als hätte jemand in der Dunkelheit der Nacht mit List und Tücke eine Mauer zwischen uns errichtet.
Ich erzählte ihm, wie Sandanato D’Ambrizzi hintergangen und sich auf Indelicatos Seite geschlagen hatte, als mein Vater plötzlich wieder das Wort ergriff.
»All diese Menschen haben geglaubt, richtig zu handeln, nicht wahr? Das ist das Tragische an dieser Geschichte, Ben. Das war schon immer die eigentliche Tragik der Kirche. Indelicato und Sandanato und Archduke wollten nur das Beste für die Kirche … D’Ambrizzi … deine kleine Schwester … sogar Peaches, wenn ich mich nicht irre – sie alle wollen oder wollten das Beste für die Kirche. 1943 war Calixtus bereit, für die Kirche zu töten, und nun, vierzig Jahre später, hat er für die Kirche getötet. Das ist ein Aspekt ihrer bleibenden Macht über die Menschen. Verstehst du, was ich damit sagen will, Ben? Hast du jemals so sehr an irgend etwas geglaubt, daß du dafür zum Mörder geworden wärst?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe noch keinen Menschen umgebracht.«
»Ich glaube, die meisten Menschen würden letztendlich für irgend etwas zu Mördern werden. Nur kommen die wenigsten in eine solche Situation.«
»Das Herz der Kirche«, sagte ich, »ist das Herz der Finsternis. Ich bin dort gewesen. Ich komme gerade von dort zurück. Und ich glaube nicht, daß sich an diesem Ort viele edle Menschen aufhalten, die versuchen, das Richtige zu tun.«
»Du bist nicht im Herzen der Finsternis gewesen, Sohn. Du bist ihm nicht einmal nahe gekommen. Ich bin dort gewesen. Sogar deine Mutter ist bis dorthin gelangt. Du aber nicht. Es gibt keinen schlimmeren Ort. Man vergißt ihn nie.«
Ich erzählte ihm, wie Sandanato gestorben war.
Mein Vater trat ans Fenster und starrte in den noch immer dichten Schneefall.
»Horstmann«, sagte er, »gehört offenbar zu jenen Menschen, die glauben, jede Rechnung begleichen zu müssen. Auch wenn der Preis ein Leben ist.«
Am Nachmittag zog ich den alten Schaffellmantel über, holte mir ein Beil und eine Säge und ging hinaus in die Winterlandschaft. Es schneite noch immer; große, schwere, feuchte Flocken schwebten langsam und lautlos zu Boden. Ich ging hinter dem Haus an dem riesigen Panoramafenster vorbei und blickte hinunter ins Wohnzimmer. Auf der von innen erwärmten Scheibe schmolz der Schnee, während er sich rundum aufgetürmt hatte, so daß nur die Glasfläche zu sehen war. Ich sah meinen Vater am Plattenspieler stehen; er zog eine Langspielplatte nach der anderen aus dem Regal und blickte auf die Hüllen. Seine Schultern hingen herab, und als er eine Platte aufgelegt hatte, ging er mit Hilfe eines Stocks langsam zu seinem Sessel am Kamin zurück. Er ließ sich vorsichtig nieder und starrte dann in die Flammen. Jetzt, da er sich unbeobachtet glaubte, stellte ich fest, wie sehr er sich verändert hatte. Er sah wie ein Mensch aus, der nicht mehr lange zu leben hatte -plötzlich alt und gebrechlich. Ich wünschte mir, ihn nicht so gesehen zu haben.
Der bewaldete Hügelhang stieg auf etwa hundert Meter ziemlich steil an; hier und da ragten Felsbuckel oder dichte, schwarzgrüne Sträucher zwischen den dünnen Stämmen der Eichen, Ulmen und Pappeln hervor. Dann lief der Hang sanft aus, um, wie ich wußte, ein Stück weiter auf ebener Strecke bis zu einem kleinen See zu führen. In dem See hatte ich Schwimmen gelernt; auf ihm war ich zum erstenmal Segelboot gefahren. Das Wasser war auch im Sommer erbärmlich kalt, wie ich mich erinnern konnte, jetzt war der See mit Sicherheit zugefroren. Ich machte mich an den Aufstieg und stellte fest, daß der Wind heftiger wehte, als ich erwartet hatte. Die wattigen Schneeflocken schienen plötzlich kleiner und scharfkantiger zu werden und piekten auf der Haut.
Was den Weihnachtsbaum betraf, so entdeckte ich ein paar mögliche Kandidaten, als der Hügelkamm bereits in Sicht kam. Ich hatte diesen Weg, wie ich vermutete, wohl deshalb gewählt, weil ich ihn als Junge oft gegangen war. Es war schon einige Jahre her, seit ich das letzte Mal hier gewesen war. Nach weiteren zwanzig Metern Aufstieg hielt ich an und lehnte mich gegen einen Baumstamm, um wieder zu Atem zu kommen. Genau in diesem Augenblick nahm ich einen Geruch wahr, der mich hier oben, in dieser Einsamkeit, überraschte. Scharf, durchdringend, wie ein
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