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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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ins Herz der Finsternis vorgedrungen als wir alle.
    Warum, fragte ich mich, hatte sie das getan? Das war eine Frage, mit der ich mich nie besonders intensiv beschäftigt hatte. Sie war meine Mutter, und einige Mütter taten verrückte Dinge. Auch Mütter von Schulfreunden hatten etwas ähnliches getan, Mütter und Väter. Alkoholismus, Selbstmord – diese Dinge waren einigen Kindern, meinen Freunden von damals, durchaus geläufig gewesen. Sie gehörten zum Leben. Man stellte keine Fragen darüber.
    »Mutter …«
    Als ich dieses Wort schluchzte, beinahe, ohne mir dessen bewußt zu sein, hörte ich so deutlich ihre Stimme, als stünde sie neben mir. Ich starrte auf die letzten noch erkennbaren Fußabdrücke des Unbekannten, die mittlerweile auch schon fast vom Schnee bedeckt waren, und Mutter hätte tatsächlich in den Schatten hinter mir zum Leben erwacht sein können. Die Fußabdrücke gehörten nicht hierher, ebensowenig wie meine Mutter, doch ich konnte ihre Stimme hören, wie es in meinen Träumen der Fall war, nur daß es diesmal anders war, ich hörte sie ganz klar und deutlich, es war nicht die gedämpfte Stimme auf einem nächtlichen Korridor, nein, diesmal hörte ich deutlich, was sie zu Val gesagt hatte und was sie mir schon seit so vielen Jahren sagte, und es war anders, es waren nicht jene Worte, die ich so gut kannte, es war anders und bedeutete auch etwas völlig anderes als das, was ich sonst immer gehört hatte.
    Es war Hugh …
    Hugh, du hast es getan …
    Hugh. Nicht du, wie Val und ich verstanden hatten.
    Wir waren Kinder. Wir hatten geglaubt, irgend etwas Furchtbares getan zu haben.
    Und unsere Mutter hatte uns gesagt, daß unser Vater der Mörder Father Governeaus gewesen war.
    Auch Val mußte sich daran erinnert haben. Das war es, was ihr auf dem Herzen gelegen hatte, als sie nach Princeton zurückgekehrt war und begonnen hatte, Fragen über Father Governeau zu stellen …
    Familiengeschichte, Familienlügen.
    Ich wußte beim besten Willen nicht, was ich tun sollte, als ich langsam zum Ferienhaus hinunterstieg und den Baum hinter mir her schleifte. Erst als ich schon fast am Haus angelangt war, erinnerte ich mich wieder an die Spuren des Feuers und fragte mich erneut, ob wir beobachtet wurden.
    Ich schleppte den Baum ins große Wohnzimmer. Er war zwei Meter hoch, von regelmäßigem Wuchs, die Äste dicht mit Tannennadeln bewachsen – mit anderen Worten: perfekt. Mein Vater hatte einige Schachteln mit Christbaumschmuck aus der Abstellkammer geholt, in denen sich Lametta, Kugeln, Sterne und anderes befanden; außerdem ein Kabel mit Dutzenden elektrischer Kerzen in Rot, Grün und Blau. Er beobachtete, wie ich mich abmühte, den Stamm in den Ständer zu bugsieren; schließlich erhob er sich und hielt den Baum fest, während ich das abgesägte Ende des Stammes in dem verdammten Ständer festschraubte. Er gab sich sehr viel Mühe, den Anschein zu erwecken, sich wohl zu fühlen, Freude zu zeigen, als wäre es ein ganz normales Weihnachtsfest. Doch er mußte häufig pausieren; sein Atem ging rasselnd, und als er uns beiden einen Drink einschenkte, zitterte die Flasche in seiner Hand. Er blickte mit wäßrigen Augen zu mir herüber – Augen, die einst einen so harten Ausdruck haben konnten, daß sie das Wasser im Glas zu Eis hätten gefrieren lassen.
    Hugh, du hast es getan …
    Als der Baum endlich stand und es draußen völlig dunkel geworden war, ging mein Vater mit dem Glas in der Hand in die Küche, um uns zum Abendessen Spaghetti zu kochen. Ich hörte seine schlurfenden Schritte, das blecherne Scheppern von Töpfen und Pfannen.
    Ich ging in mein Schlafzimmer und holte den Umschlag aus dem Koffer. Ich hatte ihn zwischen die Hemden und die Unterwäsche und die anderen Sachen gelegt, die ich mit ins Ferienhaus genommen hatte. Ich setzte mich auf die Bettkante und zog das eselsohrige Foto aus dem Umschlag, und dann hockte ich dort und drehte das Bild langsam zwischen den Fingern und versuchte mir einmal mehr klarzumachen, daß meine Schwester Val tot war, wirklich und wahrhaftig, daß sie nie wieder in mein Zimmer platzen würde, daß ich nie wieder ihr Lachen hören würde, und daß ich jetzt mit all den Erinnerungen, die nur wir beide hatten, ganz allein auf der Welt war. Es fiel mir nicht leicht, mich selbst davon zu überzeugen, daß es Val nicht mehr gab.
    Ich starrte auf das Foto.
    Wer hatte diese Aufnahme von Torricelli, Richter, D’Ambrizzi und LeBecq gemacht?
    Archduke. Nur unter dieser

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