Assassini
verführe ihn. Dann gehört er für immer dir.«
Auf dem Vorderhof stand ein Polizeifahrzeug geparkt. Ein Beamter winkte uns mit einer roten Signallampe. »Was ist hier los?« fragte ich ihn, als wir heran waren.
»Ach, Sie sind’s, Mister Driskill. Chief Turner meinte, wir sollten das Haus besser für ein paar Tage unter Beobachtung halten. Wir wechseln uns so ungefähr alle vier Stunden ab.« Er schien zu frieren, und seine Nase war rot.
»Warum gehen Sie denn nicht hinein?«
»Ist schon in Ordnung, Sir. Im Wagen ist es warm. Außerdem hat der Chief gesagt, wir sollen im Wagen bleiben. Ich hab’ mir’ne Thermoskanne Kaffee mitgebracht. Ist alles okay.«
»Wie Sie meinen. Und vielen Dank.«
Dunn blickte dem Beamten hinterher, als dieser zurück zu seinem Wagen ging. »Wir haben uns seit gestern abend nur blutige Nasen geholt, Ben. Wissen Sie, was mein Vater früher immer zu mir gesagt hat? Wenn ich aus der Schule kam und wieder mal gerauft hatte, da hat er gesagt: ›Artie, an einer blutigen Nase ist noch keiner gestorben‹ Darum sollten Sie jetzt ein wenig schlafen. Gehen Sie morgen ausgeruht ans Werk.«
Ich ging ins Haus. Die Stille war wie die auf einem Segelboot nachts auf dem Long Island Sound. Es ächzte, stöhnte, knarrte, schien beinahe unter meinen Füßen zu schwanken. Das Kaminfeuer war zu einem Haufen schwach glühender Kohlen heruntergebrannt. Ich legte ein paar Holzscheite nach, zog einen der Ledersessel näher an den Kamin heran und beobachtete, wie das Feuer wieder zum Leben erwachte.
Father Dunns Bemerkungen darüber, daß er die Kinder beschwindelt hatte, und wie einfach das gewesen sei, und daß die Kirche in ähnlicher Weise versuche, die Seelen, den Geist junger Menschen zu verführen, fielen mir wieder ein, und ich mußte lächeln. Dunn war ein alter Gauner. Und er hatte beharrlich verschwiegen, was nun eigentlich sein Job war. Jedenfalls hatte er offenbar einen heißen Draht zu Erzbischof Kardinal Klammer. Und zu Polizeibeamten, die ihm vertrauliche Informationen lieferten. Und wie hatte Peaches sich noch ausgedrückt? Dunn hat ›einflußreiche Kumpel‹ in Rom …
Ich spürte die Anziehungskraft der Kirche, sah deren Finger mich heimtückisch winkend heranlocken, spürte die Versuchung. Meine Gedanken waren wirr und ungeordnet, ein bunt zusammengewürfeltes Kaleidoskop, und wanderten vom Vuitton-Aktenkoffer weiter zu dem Priester, der am Ast eines Apfelbaumes in unserem Obstgarten baumelte, und weiter zu einem anderen Priester, der lautlos an meine Schwester herantrat und ihr schweigend den Lauf einer Waffe an den Hinterkopf hielt, und noch weiter zu einem anderen Priester, der Kinder beim Blindekuhspiel betrog. Ich war zu erschöpft, um gegen das Chaos in meinem Gehirn anzukämpfen.
Es war lange her, daß ich mich für einen wirklichen Katholiken gehalten hatte. Sehr lange her, daß ich ein echter Katholik gewesen war. Verdammt. Meine Beziehung zur Kirche war von Anfang an von Liebe und Haß geprägt gewesen.
Es war weniger ein Traum denn eine Erinnerung, die sich an die Oberfläche meines Bewußtseins drängte. Zwischen Wachen und Schlafen sah ich den schwarzen Vogel und konnte den Geruch nach feuchter Wolle wahrnehmen. Die Jahre rasten an mir vorüber, in die Vergangenheit, und führten mich zu einem düsteren Nachmittag im März. Es war lange her, so lange her.
Ein nasser, kalter Tag; der Frühling hatte sich noch nicht durchgesetzt. Aus dem Fenster des Klassenzimmers sah ich, wie die grauschwarzen, von Schmutz gefleckten Schneeverwehungen schmolzen, wie das Schmelzwasser im Schlamm und im naßglänzenden Kies versickerte, mit dem die gewundene Auffahrt bedeckt war, die von der Allee hinauf zur Schule führte. Die Wolken hingen schwer und dunkel über der Stadt. Das Klassenzimmer war überhitzt, aber ich spürte den Wind, konnte den Regen riechen.
Ich war acht Jahre alt und hatte eine Heidenangst. Ein paar Stunden zuvor hatte ich in meinem Katechismus herumgekritzelt, und Schwester Mary Angelina hatte das gesehen und war mit schnellen Schritten zu mir herübergekommen, durch den Mittelgang zwischen den Pulten, mit zusammengekniffenem Mund, weit aufgerissenen Augen und dem dreieckigen, metallenen Lineal in ihrer weißen, knochigen Hand. Ich hatte die Augen nicht von ihren dünnen, blutleeren Lippen wenden können, dem blassen, glatten Gesicht. Es war plötzlich so leise gewesen, daß ich die Heizkörper hatte zischen hören, und meine Klassenkameraden hatten sich mit
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