Assassini
sein werden, der bezahlen muß?«
»Dann haben Sie also Ihren Entschluß gefaßt«, sagte ich. »Sie werden die Sache einfach auf sich beruhen lassen.«
»Was soll das heißen? Was erwarten Sie denn von mir?« Ich zuckte die Achseln.
»Ja«, sagte sie, »ich werde die Sache auf sich beruhen lassen -weil ich nicht auch noch sterben möchte. Ich will das Leben weiterführen, das ich bisher geführt habe. Ich will leben. Die Polizei kann diesen Fall vielleicht doch zu einem Abschluß bringen, und auch die Kirche hat ihre Möglichkeiten … Wenn Sandanato in Rom seinen Bericht vorlegt und wenn man dort hört, was Father Dunn zu dieser Sache beitragen kann, dann ist die Kirche verpflichtet, etwas zu unternehmen.«
»Sie könnten doch einen Artikel darüber schreiben. Sie waren Vals beste Freundin. Und Ihre Zeitschrift …«
»Soll ich in einem Artikel etwa wilde Vermutungen über Killerpriester anstellen? Über schwarze Stoffetzen, die von Regenmänteln abgerissen wurden, und über vergilbte, uralte Fotos? Oder über einen Priester, der gleichzeitig Bestsellerautor ist und der zufällig in eine Mordgeschichte hineingeraten ist, bei der niemand weiß, um was es eigentlich geht? Erwarten Sie das ernsthaft von mir? Jetzt machen Sie aber einen Punkt, Ben! Als Journalist muß man auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Mitten in der Nacht an einem Tisch zu sitzen und über Motive und andere Hintergründe von Mordfällen zu spekulieren ist eine Sache. Aber es ist etwas völlig anderes …«
»Die ganze Geschichte ist Ihnen schlicht und einfach gleichgültig geworden, nicht wahr? Sie ist Ihnen lästig …«
»Wie können Sie nur so gemein sein, Ben! Nein, ich hatte einfach nicht genug Zeit zum Nachdenken. Es ist alles noch zu frisch, als daß ich es nüchtern und sachlich betrachten könnte.«
»Dann«, sagte ich und fühlte mich enttäuscht, kalt, betrogen, »gibt es nichts mehr zu bereden, Schwester.« Die Katholiken und ihre verdammte hehre Kirche, das ist der Grund, sagte ich mir. Ich hatte den Fehler gemacht, mich Elizabeth zu sehr zu nähern, menschlich, persönlich. Ich hatte Vertrauen in sie gesetzt, das nicht gerechtfertigt gewesen war. Die alte Verführung.
Father Dunn hatte darauf bestanden, sie zum Flughafen zu fahren. Als er kam, um sie abzuholen, war unser Abschied alles andere als herzlich. Die Lippen zusammengepreßt, ohne ein Wort, nur ein flüchtiger, rascher Blick, ein kurzes Nicken, und sie war fort. Es mochte sein, daß alles, was sie gesagt hatte, richtig war. Aber ich wollte es trotzdem nicht wahrhaben.
Wenn ich mich von ihr hätte überzeugen lassen, wenn nun alles vorüber gewesen wäre und ich einen Schlußstrich gezogen hätte, wenn ich nicht weiter der Frage hätte nachgehen wollen, wer der Mörder meiner Schwester war, wenn alles so geendet hätte wie ein halbes Jahrhundert zuvor bei Father Governeau – ich hätte mir selbst nicht mehr in die Augen blicken können. Es ging nicht darum, was ich tun wollte. Es ging darum, was ich tun mußte.
Denn wenn nicht ich, wer sollte dann für die Toten eintreten?
Ich verbrachte den Rest des Nachmittags damit, mich in eine zutiefst miese Stimmung zu versetzen. Der Streit mit Elizabeth machte mir schwer zu schaffen; sie hatte mir eine so grundsätzliche Absage erteilt, wie ich es niemals erwartet hätte. Für mich war nur noch die Tatsache von Bedeutung, daß Val ermordet worden war; für Elizabeth hingegen bestand die Zukunft darin, wieder in ihr gewohntes Leben zurückzukehren – ihr Leben in Rom, ihr Leben für die Kirche in der Überzeugung, die Dinge so belassen zu sollen, wie sie waren. Ich hatte gehofft – nein, ich war davon ausgegangen – daß unsere gemeinsame Liebe zu Val uns konsequenterweise zu engen Verbündeten auf der Suche nach ihrem Mörder machte. Ich war sogar überzeugt, daß Elizabeth selbst es gewesen war, die mir dieses Gefühl vermittelt hatte, und ich wußte, daß dies nicht bloße Einbildung war. Aber ich hätte nie auf ihre Hilfe zählen dürfen, nicht bei einer Nonne, nicht bei einer von denen. Denn wenn es um die Kirche ging, waren große Worte billig; doch sobald die Kirche in Morde verwickelt zu sein schien, wollte Schwester Elizabeth nichts damit zu tun haben.
Als Sandanato aus New York zurückkehrte, traf er mich im Long Room an. Ich saß vor der Staffelei und betrachtete das Gemälde meines Vaters, während das trübe Licht des Nachmittags langsam der Dunkelheit wich. Ich blickte auf, als er seinen Mantel über
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