Assassini
ließ die Hand rasch fallen und trat von mir zurück, als wäre es ihr plötzlich peinlich, mir so nahe gekommen zu sein, körperlich und im übertragenen Sinne. »Tja, ich nehme an, Sie werden auch wieder an die Arbeit gehen …« Der Klang ihrer Stimme hatte sich verändert, war nüchterner, kühler geworden.
»Ich werde noch einige Zeit aussetzen«, sagte ich. »Urlaub machen. Ich habe heute morgen mit meinen Geschäftspartnern telefoniert. Sie haben recht, Schwester. Die ganze Sache ist unfertig. Ich werde sie zu Ende führen.«
Sie blickte mich an, verblüfft, bestürzt, als hätte ich soeben aufgeschrien. »Was meinen Sie damit?«
»Ich werde herausfinden, wer meine Schwester ermordet hat.«
»Wie denn? Was können Sie denn schon tun?«
»Val hätte von mir erwartet, daß ich es zumindest versuche. Darum hat sie das Foto für mich versteckt. Ich werde sie nicht enttäuschen. Das ist alles.«
»Das stimmt nicht, und Sie wissen es«, erwiderte sie voller Überzeugung. »Val hätte niemals von Ihnen erwartet, daß Sie Ihr Leben in Gefahr bringen. Oh, das hört sich gut und richtig an, und ich mache Ihnen auch keinen Vorwurf – Sie wollen sich auf den Weg machen und Vals Tod rächen. Aber sehen Sie den Tatsachen ins Auge, Ben. Sie haben keine Chance. Der Mörder ist verschwunden, und es gibt nicht die kleinste Spur …«
»Ich weiß, was ich tue.«
»O Ben! Lassen Sie das bleiben, bitte! Ich habe auch darüber nachgedacht. Ich habe die ganze Nacht gegrübelt, und mir ist jetzt erst richtig klar geworden, daß Val ermordet wurde. Drei Menschen sind getötet worden – und vielleicht hing das alles mit Vals Nachforschungen zusammen, oder was immer ihr Geheimnis war. Sie, Ben, auch noch zu töten, würde diesen Leuten nicht das geringste ausmachen. Ich kenne sie so wenig wie Sie, aber diese Leute beobachten Sie – merken Sie das denn nicht? Die können Sie beseitigen, wo und wann immer sie wollen.« Sie bedachte mich mit einem bestürzten Blick, als wäre ich ein geistig zurückgebliebener Schuljunge. »Glauben Sie etwa, diese Leute zögern auch nur eine Sekunde, Sie zu ermorden, wenn Sie Ihre Nase zu tief in diese Sache stecken, Ben? So begreifen Sie doch, das ist wie in einem von Dunns Romanen … Bitte, lassen Sie die Finger davon, Ben, lassen Sie um Himmels willen die Finger davon!«
»Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen darüber zu diskutieren, Schwester. Ich werde diese Sache zu Ende bringen. Wir brauchen uns gar nicht erst darüber zu streiten.«
»Also gut. Mal angenommen, Sie haben Erfolg – was dann? Mal angenommen, Sie finden heraus, was hier gespielt wird? Dann wird man Sie töten. Basta. Überlegen Sie doch, Val wußte, in was sie hineingeraten war, sie kannte die Risiken, aber sie glaubte, die Sache sei es wert. Um Himmels willen, Ben, Sie wissen ja nicht einmal, was Val für so wichtig hielt, daß sie …«
»Sie verschwenden Ihren Atem«, sagte ich.
»Ich wünschte, Sie hätten es den Behörden überlassen.«
»Die haben nicht die geringste Hoffnung gesehen, und das wissen Sie. Glauben Sie ernsthaft, es wäre in Vals Sinn, wenn ich die Sache einfach auf sich beruhen ließe?«
»Val ist tot, Ben. Sie ist aus dem Spiel. Hören Sie mir zu. Val … war … unbesonnen. Sie war mutig, aber sie war auch tollkühn – und das bin ich nicht. Und ich hoffe bei Gott, daß auch Sie es nicht sind. Ich habe mich immer zurückgehalten. Ich habe nur beobachtet, habe meine Artikel geschrieben, während Val auf die Barrikaden gegangen ist. Und nur weil sie es zu weit getrieben hat, weil sie in irgend etwas zu tief eingedrungen ist, hat man sie umgebracht. Aber das bedeutet doch nicht, daß es sozusagen Ehrensache für uns ist, in ihre Fußstapfen zu treten. Ich kenne mich, und ich weiß, daß ich nicht aus dem Holz geschnitzt bin, daß ich für meine Prinzipien sterben würde. Sie etwa? Wirklich?«
»Mir geht es nicht um irgendwelche Prinzipien. Es ist mir scheißegal, was meine Schwester über Ihre gottverdammte Kirche herausgefunden hat!«
»Es ist ja möglich, daß es innerhalb der Kirche einen verrückten Mörder gibt. Aber deshalb darf man nicht die Kirche insgesamt verteufeln! Das höre ich mir nicht an, Ben, ich werde es nicht zulassen, daß Sie …«
»Also gut! Irgendjemand hat meine Schwester erschossen, und irgend jemand wird dafür bezahlen! Warum begreifen Sie das nicht, Elizabeth? Das ist doch ganz einfach.«
»Und warum begreifen Sie nicht, daß höchstwahrscheinlich Sie selbst es
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