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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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sich nach wie vor mühte, auf den Kufen zu bleiben; er war noch immer auf der gegenüberliegenden Seite des Teichs, gut zwanzig Meter von mir entfernt. Ich gab meinen Muskeln den Befehl, sich zu bewegen; ich wollte weg hier, weg, weg von diesem Mann, aber es ging nicht, ich kam keinen Schritt voran, ich schlitterte und rutschte, ohne Raum zu gewinnen, wie in einem Alptraum, und dann stiegen Angst und Entsetzen in mir auf, und ich spürte den kalten, gefrorenen Schweiß auf der Haut, und ich kam nicht fort, nicht fort, und dann spürte ich seine Hand auf meiner Schulter, o Gott, o Jesus, er schlug mich nicht nieder, nein, er versuchte mich festzuhalten, mir festen Stand zu verschaffen … o mein Gott, mir festen Stand für die schimmernde Klinge zu verschaffen …
    Ich versuchte zu schreien, wollte Sandanato auf mich aufmerksam machen, und vielleicht schrie ich auch, und dann spürte ich den Schmerz, der von unterhalb meines rechten Arms über den Rücken raste, kalter, klarer Schmerz, so als würde ein Eiszapfen durchs Fleisch rasen, ein Bolzen aus Silber, und ich merkte, wie ich stürzte, sah die Eisfläche auf mein Gesicht zukommen, versuchte mich zu wehren, wollte nach dem Mann treten, wollte ihn zu Fall bringen, doch er hielt mich mit eisernem Griff gepackt, und ich stürzte nicht, er hielt mich auf den Beinen, und dann hörte ich seine Stimme, hörte ihn murmeln, kleinen Moment noch, Mister Driskill, ruhig, ganz ruhig, und ich hörte den Stoff seines Mantels rascheln, als er den Arm hob und noch einmal die Klinge schwang, und er stieß nicht zu, er schlitzte, ich hörte, wie die Klinge sich durch den Stoff meines Trenchcoats fraß, und dann sah ich die Eisfläche auf mich zukommen, versuchte, mich auf den Rücken zu drehen, war aber plötzlich sämtlicher Kräfte beraubt …
    Ich knallte mit dem Gesicht aufs Eis und hörte das Knacken, als mein Nasenbein brach, schmeckte den hervorschießenden Blutschwall; mein Kopf war leicht zur Seite gedreht; ein Auge war aufs Eis gedrückt, und mit dem anderen sah ich die Kufen seiner Schlittschuhe dicht vor meinem Gesicht. Ich mühte mich, den Kopf so weit zu drehen, daß ich ihn sehen konnte, dieses Gesicht sehen konnte, und ich schaffte es. Ich starrte in die flachen Gläser seiner Brille, und sie schienen bodenlos tief zu sein, leer, und während ich zu ihm hochblickte und spürte, wie es warm und feucht über meinen Rücken lief, wehte der Wind ihm den schwarzen Filzhut vom Kopf, und der Hut segelte langsam, wie in Zeitlupe, auf das Eis, und ich sah das silberne, straff zurückgekämmte Haar des Mannes; es war leicht gewellt und schimmerte unglaublich silbern im Mondlicht.
    Dann bückte er sich und hob den Hut auf und war von einem Moment zum anderen verschwunden, und ich hörte das sanfte, seidene Flüstern der Kufen, als er sich mit federleichten Schritten entfernte; das alles hatte vielleicht zehn Sekunden gedauert, und ich konnte mich einfach nicht bewegen, und dann kam der arme Sandanato herübergestolpert, taumelnd und keuchend, und rutschte die letzten Meter auf den Knien zu mir. Ich sah eine Träne auf seinem Hosenbein glitzern, und ich vernahm seine Stimme: Können Sie mich hören, können Sie mich hören?, und ich antwortete ihm wieder und wieder, aber er schien mich überhaupt nicht hören zu können, und dann wurde seine Stimme leiser und leiser, bis sie verstummte, und dann spürte ich nur noch die beißende Kälte des Eises auf meinem Gesicht …

ZWEITER TEIL

1
    Der Moralische. So hatte ihre Mutter es immer bezeichnet. Elizabeth war nie der Typ gewesen, der schnell vom Moralischen befallen wurde – dazu war sie zu aktiv, zu beschäftigt, zu interessiert an allem, was in der Welt vor sich ging –, aber jetzt, während des Rückflugs nach Rom in der 747, mußte sie sich eingestehen, daß sie ihm doch zum Opfer gefallen war. Dem Moralischen.
    Es hatte nichts mit dem Schock und dem Kummer zu tun, die Vals Tod ihr bereitet hatten. Man konnte sein Bestes geben, um darüber hinwegzukommen, um mit all dem fertig zu werden. Die religiöse Schulung und Erfahrung halfen einem, sich gegen Emotionen zur Wehr zu setzen. Aber der Moralische, der ging einem unter die Haut; er sickerte einem auf eine Art und Weise ins Blut, daß nicht einmal der Glaube an Gott und die Kirche und die Selbstdisziplin dies verhindern konnten; er nahm Besitz von einem, wenn man auch nur einen winzigen Moment nicht auf der Hut war – und dann war es zu spät. Dann mußte man bitter dafür

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