Assassini
Abend. Wir redeten vor allem über die beharrlichen Bemühungen der Presse, an meinen Vater und an mich heranzukommen. Doch gottlob gaben ja auch die Morde in New York den Journalisten Stoff für ihre Reportagen. Sandanato verabschiedete sich in der Eingangshalle des Nassau Inn von Margaret und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, sie irgendwann einmal in Rom wiederzusehen. Ich verabschiedete mich ebenfalls von ihr – bis zum nächsten Morgen; dann wollten wir uns im Haus meines Vaters treffen.
Es war ein klirrend kalter und klarer Abend. Der Mond war wie ein silberner Bühnenscheinwerfer. Die Sterne funkelten in den endlosen Tiefen des schwarzblauen Himmels. Sandanato wollte am morgigen Tag abreisen. Nachdem wir zum Haus zurückgekehrt waren, ging er nach oben, um zu packen. Ich hatte die Absicht, meinem Vater morgen einen Besuch abzustatten und ihm zu berichten, daß ich die Spuren zurückverfolgen wollte, die Val während der letzten Wochen hinterlassen hatte – meine erste Station sollte Alexandria sein. Ich mußte in Erfahrung bringen, was sie in jenen letzten Tagen ihres Lebens in Ägypten unternommen hatte. Ich dachte noch über meine Reiseroute nach, als Sandanato die Treppe herunterkam.
Er blieb mit einem verlegenen Lächeln vor mir stehen, ein paar alte Schlittschuhe in den Händen. »Die habe ich in einem Wandschrank gefunden. Ich bin allerdings erst ein einziges Mal Schlittschuh gelaufen. Damals war ich zehn; mein Vater hatte uns in den Ferien mit in die Schweiz genommen. Seitdem habe ich nicht mehr auf den Kufen gestanden. Sollen wir mal hinausgehen und es versuchen?« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Es ist zehn. Wahrscheinlich werde ich nie wieder eine solche Gelegenheit bekommen. Und ich glaube, es würde mir guttun. Ich könnte dann besser schlafen.«
Der Vorschlag war so verrückt und kam so unerwartet, daß ich aufsprang und sagte, warum nicht, einverstanden, na klar. Der Teich, der von einem Bach gespeist wurde, der sich in zahllosen Wendungen und Kehren und Schleifen durch die gesamte umliegende Gegend schlängelte, war zugefroren. Ich hatte sogar ein paar Kinder auf dem Teich Schlittschuh laufen sehen, als Summerhays und ich unseren Spaziergang gemacht hatten. Zum erstenmal seit Tagen fühlte ich mich ein bißchen fröhlicher, unbekümmerter. Ich stöberte in einem Berg alter Sport- und Wetterkleidung, der in einer Abstellkammer lag, ebenfalls ein Paar Schlittschuhe auf, und dann machten wir uns auf den Weg zum Teich. O ja, das hätte Val verstanden. Als wir Seite an Seite über den gefrorenen, knirschenden Rasen schritten, konnte ich sie beinahe über uns lachen hören.
Der Dreiviertelmond schien hell vom wolkenlosen Himmel, und der Teich lag wie ein schimmernder Silberdollar hinter den schwarzen Silhouetten der Bäume und Sträucher im Obstgarten. Die Kapelle, von Mondlicht Übergossen, sah aus wie auf einem alten Gemälde. Aber ich versuchte, alle Assoziationen zu ignorieren: meine Schwester, gekrümmt am Boden liegend hinter einer hölzernen Kirchenbank; der Baum, an den ein Mörder den Leichnam Father Governeaus gehängt hatte.
Am Ufer des Teiches setzten wir uns auf den steinhart gefrorenen Boden und zogen die Schlittschuhe an, lachten über uns selbst und machten Scherze darüber, wer wohl der schlechtere Schlittschuhläufer sei. Über die Eisfläche wehte ein feiner Schleier aus Pulverschnee. Meine Finger schmerzten und waren taub vor Kälte, als ich schließlich die Schnürsenkel der Schlittschuhe straffzog. Das Eis war ziemlich eben und wies schimmernde Rillen auf, dort, wo die Kinder die Strecke von New Pru bis hierher mit Schlittschuhen über den gefrorenen Bach gelaufen waren. Dankenswerterweise hatten sie den Bereich unmittelbar vor uns vom Schnee gereinigt und glattgefegt.
Wir erhoben uns schwankend und unsicher und stützten uns gegenseitig, als wir uns vorsichtig aufs Eis begaben, zwei lächerliche Gestalten: Sandanato in seinem schwarzen Überzieher und ich in meinem Trenchcoat; unbeholfen und überängstlich versuchten wir die ersten Schritte auf dem schimmernden, glatten Untergrund.
Ich stieß mich mit dem rechten Fuß ab und glitt ein paar Meter übers Eis; taumelnd und mit ausgestreckten Armen, doch ohne zu stürzen. Nach wenigen Minuten brach mir ob der ungewohnten körperlichen Anstrengung der Schweiß aus; ich hörte mich schnaufen und keuchen, hörte irgendwo in meinem Innern, aus weiter Ferne, das helle Lachen Vals. Allmählich schien sich wenigstens meine
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