Assassino
in unterschiedlichem Zustand des Verfalls befanden. Die meisten besaßen ein gemauertes Fundament, auf das aus Holz mehrere Stockwerke gesetzt worden waren. Andere bestanden nur aus Holz und sahen so aus, als könnten sie jeden Moment einstürzen.
Ilyas prägte sich den Weg ein, so gut es ging. Schließlich hielt Said vor einem unauffälligen Haus an. Er schob die Haustür, die nur angelehnt war, auf, und sie betraten einen langen, dunklen Flur, den sie durch eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite wieder verließen. Nachdem sie den dahinterliegenden kleinen Hof überquert hatten, in dem zwei magere Ziegen in einem winzigen Holzverschlag vor sich hin vegetierten, führte Said ihn in ein weiteres Gebäude. Übereine baufällige Holztreppe gelangten sie ins zweite Stockwerk. Said blieb vor einer Tür stehen und klopfte in einem bestimmten Rhythmus dagegen.
Sie hörten, wie hinter der Tür eine Kette entfernt wurde, dann öffnete sie sich einen Daumenbreit und ein Auge spähte hinaus.
»Ich bin’s«, sagte Said und drückte die Tür auf. Ilyas folgte ihm in einen Raum, der lediglich mit zwei Sofas und einem Metalltisch möbliert war, auf dem einer dieser Computer stand, die er schon mehrfach gesehen hatte. Er verstand zwar immer noch nicht genau, wozu man sie brauchte, aber dass sie wichtig waren, hatte er begriffen.
Der Mann, der davorsaß, drehte sich um. Er hätte ein Zwillingsbruder von Said sein können, wären da nicht die etwas buschigeren Augenbrauen und der dünne Mund gewesen.
»Wen schleppst du uns denn da an, Said?«, fragte er. In seiner Hand hielt er einen dieser schwarzen Metallgegenstände, mit denen man aus der Ferne einen Menschen töten konnte und den man, wie Ilyas gelernt hatte, »Pistole« nannte.
Der Mann, der ihnen die Tür geöffnet hatte und der seinen Gesichtszügen nach aus demselben Land wie Kati, Chris oder Seamus stammen musste, hielt ebenfalls eine Pistole in der Hand. Ihr Lauf war deutlich länger, und sie hatte einen Schaft aus Metall, den er unter die Schulter geklemmt hatte.
Said hob beschwichtigend die Hände. »Er ist unser Bruder, Remzi.«
Der Mann am Computer senkte seine Waffe keinen Millimeter. »Und er ist dir zufällig über den Weg gelaufen?«, fragte er misstrauisch.
Said wandte sich an Ilyas. »Zeig ihnen das Zeichen.«
Ilyas zog die Weste aus und reichte sie Said. Dann streifte er sich das Hemd über den Kopf und hob den Arm. Zum ersten Mal sah er selbst auch genauer hin. Tatsächlich! Es war die gleiche Tätowierung wie bei Said!
Remzi ließ den Lauf der Pistole ein Stückchen nach unten wandern. Er musterte Ilyas misstrauisch. »Seit wann bist du in der Stadt.«
»Seit gestern.«
»Und warum bist du nicht sofort zu uns gekommen?«
Ilyas ahnte, dass die Ausrede, die er Said gegeben hatte, bei diesem Mann nicht wirken würde. Er entschloss sich, aus der Not eine Tugend zu machen.
»Ich habe meine Erinnerung verloren«, sagte er.
Sofort richtete sich der Lauf der Waffe wieder auf. »Wie bitte?«
»Ich bin gestern in einem Park zu mir gekommen, ohne zu wissen, wie ich hierher gelangt bin.«
Jetzt trat auch Said einen Schritt von ihm weg. »Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«
»Weil ich hoffte, auf diese Weise zu erfahren, warum ich hier bin und was meine Aufgabe ist.«
Remzi machte eine unmerkliche Bewegung. Dann flog etwas Blitzendes auf Ilyas zu. Er warf den Oberkörper zur Seite, und das Messer bohrte sich hinter ihm in die Tür.
»Deine Reflexe sind gut«, sagte Remzi. »Aber das beweist noch nicht, dass du einer von uns bist.«
»Und die Tätowierung?«
»So etwas kann man fälschen. Wie lautet das Kennwort?«
Ilyas sah ihn verständnislos an. Er kannte das Kennwort natürlich nicht.
»Was meinst du, Claude?«, fragte Remzi den Mann an der Wand.
»Weg mit ihm«, antwortete der.
»Halt, wartet!« Said trat zwischen Ilyas und Remzi. »Wenn er wirklich das Gedächtnis verloren hat, dann kann er sich doch nicht erinnern.«
Remzi, der hier der Anführer zu sein schien, zögerte kurz. »Na schön, helfen wir ihm auf die Sprünge. Wer war der erste Meister?«
»Hasan-i-Sabbah«, entfuhr es Ilyas ohne großes Nachdenken. Sofort entspannten sich Remzis und Saids Mienen. Doch die Waffen blieben nach wie vor auf ihn gerichtet.
»Ich traue ihm nicht«, sagte Claude hinter ihm.
»Aber wenn er unser vierter Mann ist, brauchen wir ihn«, widersprach Said.
War er der vierte Mann? Das war die Frage, die sich auch Ilyas stellte. Wie war
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