Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen
Euch verteidigen könnt, falls Ihr auf Banditen trefft?“ Ich lief rasch die Treppe hinunter und nahm einem der toten Wächter sein Schwert ab. Das reichte ich Lucio.
„Nehmt das, Lucio“, forderte ich ihn auf. „Ihr werdet es brauchen, um Eure Mutter auf dem Heimweg zu beschützen.“
Er packte das Schwert am Griff, sah zu mir auf, und ich glaubte zu sehen, wie sein Blick ein wenig weicher wurde.
Dann stieß er mir das Schwert in den Leib.
27. Januar 1758
Der Tod. Er hatte eine reiche Ernte eingefahren und würde weiter die Sichel schwingen.
Als ich vor Jahren im Schwarzwald den Mittelsmann getötet hatte, beging ich den Fehler, ihm die Klinge in die Niere zu stoßen und sein Ableben damit zu beschleunigen. Als Lucio mir in der Eingangshalle des Châteaus sein Schwert in den Leib stieß, hatte er – durch puren Zufall – kein lebenswichtiges Organ getroffen. Er führte seinen Stoß mit Kraft, wie Jenny getrieben von aufgestauter Wut und Racheträumen. Und da ich selbst ein Mann war, der sein ganzes Leben damit verbracht hatte, nach Rache zu dürsten, konnte ich ihm das kaum verübeln. Aber er brachte mich nicht um, offensichtlich nicht, denn schließlich schreibe ich diese Zeilen.
Sein Stoß genügte allerdings, um mich ernstlich zu verletzen, und ich hatte den Rest des Jahres im Bett liegend im Château zugebracht. Ich hatte am Rand der endlosen Weite des Todes gestanden, war mal bei Besinnung gewesen und dann wieder bewusstlos geworden, verletzt und fiebernd, aber ich hatte weitergekämpft, mochte ich auch noch so müde und erschöpft sein. Irgendeine schwach flackernde Flamme des Geistes in mir hatte sich schlicht geweigert zu verlöschen.
Die Rollen waren vertauscht, diesmal war es an Holden, sich um mich zu kümmern. Wann immer ich zu Bewusstsein kam und aus unruhigem Schlaf in schweißnassen Laken erwachte, war er da, machte mir das Bett, legte mir einen frischen, kühlen Lappen auf die glühende Stirn, beruhigte mich.
„Es ist gut, Sir, alles ist gut. Entspannt Euch. Das Schlimmste habt Ihr jetzt hinter Euch.“
Stimmte das? Hatte ich das Schlimmste überstanden?
Eines Tages – wie lange ich zu dem Zeitpunkt schon im Fieber lag, wusste ich nicht – wachte ich auf, ergriff Holdens Oberarm, zog mich in eine sitzende Haltung empor, blickte ihm fest in die Augen und fragte: „Lucio und Monica … wo sind sie?“
Ich hatte ein Bild vor Augen – ein Bild, in dem Holden die beiden von Zorn erfüllt niederstreckte.
„Ihr habt mit Euren letzten Worten, ehe Euch die Sinne schwanden, darum gebeten, ihr Leben zu schonen, Sir“, antwortete Holden. Sein Blick verriet, dass er darüber nicht glücklich war. „Und so habe ich sie verschont. Wir schickten sie mit Vorräten und Pferden auf den Weg.“
„Gut, gut …“, keuchte ich und spürte, wie die Dunkelheit wiederkam, um mich von Neuem zu verschlingen. „Ihr könnt es ihm nicht übel nehmen …“
„Feige war es, weiter nichts“, sagte er, während mir schon wieder das Bewusstsein schwand. „Es gibt kein anderes Wort dafür, Sir. Feige. Und jetzt macht die Augen zu, ruht Euch aus …“
Ich sah auch Jenny, und nicht einmal in meinem verwundeten, fiebrigen Zustand entging mir ihre Veränderung. Es war, als hätte sie einen inneren Frieden erlangt. Ein- oder zweimal sah ich sie an meinem Bett sitzen und hörte, wie sie von unserem Leben am Queen Anne’s Square sprach, wie sie geplant hatte, zurückzukehren und, wie sie es nannte, „sich um die Sache zu kümmern“.
Ich fürchtete die bloße Vorstellung. Selbst in meinem halb besinnungslosen Herzen fand ich noch Mitleid für die armen Seelen, die mit den Angelegenheiten der Kenways betraut waren, sollte Jenny nach Hause zurückkehren.
Auf einem Tisch neben meinem Bett lag Reginalds Templerring, aber ich steckte ihn mir nicht an, nahm ihn auch nicht in die Hand, ich berührte ihn nicht einmal. Zumindest im Augenblick fühlte ich mich weder wie ein Templer noch wie ein Assassine, und ich wollte mit beiden Orden nichts zu tun haben.
Und dann, etwa drei Monate nachdem Lucio mich zu töten versucht hatte, stieg ich aus dem Bett.
Holden umfasste meinen linken Unterarm mit beiden Händen, ich holte tief Luft und schob meine Füße unter den Laken hervor, setzte sie auf den kalten Holzboden und spürte, wie mein Nachthemd über die Knie nach unten rutschte, während ich, wie mir schien, zum ersten Mal im Leben aufstand. Augenblicklich verspürte ich einen stechenden Schmerz, der von der
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