Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen
Großmeister muss man schwierige Entscheidungen treffen. Habe ich Euch das nicht beigebracht? Ich ernannte Euch zum Großmeister des kolonialen Ritus, weil ich wusste, dass auch Ihr ähnliche Entscheidungen würdet treffen müssen, und weil ich Vertrauen in Eure Fähigkeiten hatte, zu tun, was getan werden muss. Basierend auf Entscheidungen, die zum Zwecke des größeren Zieles und zum Wohle der Mehrheit getroffen werden müssen. Um eines Ideales willen, an das auch Ihr glaubt, oder habt Ihr das vergessen? Ihr fragt mich, ob ich dachte, dass Ihr nie dahinterkommen würdet. Und die Antwort lautet Nein, das dachte ich nicht. Ihr seid einfallsreich und beharrlich. So habe ich Euch erzogen. Ich musste die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Ihr eines Tages die Wahrheit herausfinden würdet, aber ich hoffte, dass Ihr die Sache dann aus eher philosophischer Sicht betrachten würdet.“ Sein Lächeln wirkte angestrengt. „Angesichts der Zahl der Toten muss ich in dieser Hinsicht wohl mit einer Enttäuschung rechnen, oder?“
Ich lachte trocken auf. „Allerdings, Reginald. Allerdings müsst Ihr das. Was Ihr getan habt, ist ein Verrat an allem, woran ich glaube, und wisst Ihr auch, warum? Ihr habt es nicht zum Zwecke der Umsetzung unserer Ideale getan, sondern aus Hinterlist. Wie können wir Glauben verbreiten, wenn unsere Herzen nur voller Lügen sind?“
Er schüttelte verächtlich den Kopf. „Ach, kommt schon, das ist doch naiver Unsinn. Das hätte ich von Euch erwartet, als Ihr noch ein junger Adept wart, aber heute? In einem Krieg tut man, was man kann, um den Sieg zu sichern. Und was man dann mit diesem Sieg anfängt, darauf kommt es an.“
„Nein. Wir müssen praktizieren, was wir predigen. Andernfalls sind unsere Worte hohl und leer.“
„Aus Euch spricht der Assassine“, sagte er, die Augenbrauen angehoben.
Ich zuckte die Schultern. „Ich schäme mich meiner Wurzeln nicht. Ich hatte viele Jahre lang Zeit, mein Assassinenblut mit meinem Templerglauben in Einklang zu bringen, und das habe ich getan.“
Ich konnte Jenny neben mir Luft holen hören, raue, rasselnde Atemzüge, die jetzt noch schneller gingen.
„Ach, so ist das“, schnaubte Reginald. „Ihr haltet Euch für moderat, ja?“
Ich sagte nichts.
„Und Ihr glaubt, Ihr könntet die Dinge ändern?“, fragte er, die Lippe spöttisch hochgezogen.
Doch da ergriff Jenny das Wort. „Nein, Reginald“, sagte sie. „Euch zu töten, bedeutet Rache zu nehmen für das, was Ihr uns angetan habt.“
Er richtete seine Aufmerksamkeit auf sie, nahm ihre Anwesenheit jetzt zum ersten Mal zur Kenntnis. „Und wie geht es Euch, Jenny?“, fragte er, hob das Kinn ein wenig an und log: „Die Zeit ist spurlos an Euch vorbeigegangen, wie ich sehe.“
Sie ließ einen leisen, knurrenden Laut hören. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich ihre Hand, die das Messer festhielt, bedrohlich nach vorn bewegte. Genau wie er.
„Und Euer Leben als Konkubine?“, fuhr er fort. „War es eine lohnende Zeit für Euch? Ich kann mir vorstellen, dass Ihr viel von der Welt gesehen habt, so viele verschiedene Menschen und unterschiedliche Kulturen …“
Er versuchte, sie zu provozieren, und das gelang ihm auch. Mit einem Zornesheulen, geboren aus Jahren der Unterdrückung, sprang sie auf ihn zu, um mit dem Messer auf ihn einzustechen.
„Nein, Jenny, nicht …!“, rief ich, aber es war zu spät, denn natürlich war Reginald auf einen solchen Angriff ihrerseits gefasst gewesen. Sie tat genau das, worauf er gehofft hatte, und als sie in Reichweite war, zückte er seinen eigenen Dolch – er musste hinten im Gürtel gesteckt haben – und wich ihrem Stoß mit Leichtigkeit aus. Dann heulte sie vor Schmerz und Empörung auf, als er ihr Handgelenk packte und verdrehte. Ihr Messer fiel zu Boden, und er schlang ihr den Arm um den Hals und hielt ihr seine Klinge an die Kehle.
Über ihre Schulter hinweg sah er mich an, und seine Augen funkelten. Ich stand auf den Fußballen, zum Vorwärtssprung bereit, doch er drückte die Klinge fester gegen Jennys Kehle, und sie wimmerte, während sie mit beiden Händen versuchte, seinen Griff um ihren Hals zu lösen.
„Nicht doch“, warnte er und drehte sich auch schon mit ihr, ohne den Dolch von ihrem Hals zu nehmen. Rückwärts zog er sie auf die Tür zu. Seine Miene veränderte sich jedoch, aus Triumph wurde Verärgerung, als Jenny sich, das Gesicht mit schweißnassem Haar verklebt, zur Wehr zu setzen begann.
„Haltet still“, knirschte
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