Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen
oder ignorierte ich sie? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich, obgleich jede Faser meines Leibes mich in die Flucht vor dieser, wie ich annehmen musste, furchtbarsten aller Gefahren treiben wollte, im Gegenteil darauf zurannte.
Ich rannte über den Stallhof und stürmte in die Küche, wo ich kaum innehielt, um wirklich wahrzunehmen, dass die Tür offen war und schief in den Angeln hing. Von irgendwo am anderen Ende des Flurs hörte ich weitere Schreie, ich sah Blut auf dem Küchenboden, trat durch die Tür und lief zur Treppe, wo ich auf eine hingestreckte Gestalt stieß. Es war einer der Soldaten. Er lag da, beide Hände auf den Bauch gepresst, seine Lider flatterten wie verrückt, und ein blutiges Rinnsal lief ihm aus dem Mundwinkel, als er sterbend nach hinten sank.
Als ich über ihn hinwegstieg und zur Treppe rannte, dachte ich nur daran, meine Eltern zu erreichen. Die Eingangshalle war dunkel, aber erfüllt von Schreien und Schritten und den ersten Rauchschwaden. Ich versuchte, mich zu fassen. Von oben ertönte noch ein Schrei, und ich schaute hinauf und sah auf der Galerie tanzende Schatten und, ganz kurz nur, das Aufblitzen von Stahl in der Hand eines der Angreifer. Ein Diener meines Vaters stellte sich ihm entgegen, doch das Licht reichte nicht aus, um das weitere Schicksal des armen Jungen mit den Augen zu verfolgen. Stattdessen hörte und spürte ich den feuchten Aufschlag seines Körpers, nachdem er über die Brüstung der Galerie gestürzt war und nicht weit von mir auf den Holzboden prallte. Sein Mörder stieß ein triumphierendes Heulen aus, und ich hörte, wie er weiter die Galerie entlangrannte – in Richtung unserer Schlafzimmer.
„Mutter!“, schrie ich und rannte zur Treppe. Im selben Moment sah ich, wie die Tür zum Zimmer meiner Eltern aufflog und mein Vater herausstürzte und dem Eindringling entgegenstürmte. Er trug Hosen, die Träger hatte er sich über die nackten Schultern gezogen, sein Haar war offen. In einer Hand hielt er eine Laterne, in der anderen seine Waffe.
„Haytham!“, rief er, als ich das obere Ende der Treppe erreichte. Der Eindringling stand zwischen uns auf der Galerie. Er blieb stehen und drehte sich zu mir um, und im Licht von Vaters Laterne konnte ich ihn zum ersten Mal richtig sehen. Er trug eine Hose, einen schwarzen Lederrock und eine kleine Halbmaske, wie man sie bei Kostümfesten aufsetzte. Und er änderte seine Richtung. Anstatt es mit meinem Vater aufzunehmen, kam er grinsend über die Galerie zurück, direkt auf mich zu.
„Haytham!“, rief Vater noch einmal. Er löste sich von Mutter und rannte hinter dem Eindringling her. Der Abstand zwischen den beiden wurde geringer, aber es würde nicht reichen, und so wandte ich mich zur Flucht, entdeckte jedoch am Fuß der Treppe einen zweiten Mann, der mir mit einem Schwert in der Hand den Weg verstellte. Er war so gekleidet wie der andere, nur ein Unterschied fiel mir auf: seine Ohren. Sie waren spitz, und im Zusammenspiel mit der Maske verliehen sie ihm das Aussehen einer schrecklich entstellten Kasperfigur. Ich erstarrte für einen Moment, dann fuhr ich herum und sah, dass der grinsende Mann hinter mir sich wieder meinem Vater zugewandt hatte, und einen Lidschlag später prallten auch schon ihre Schwerter gegeneinander. Vater hatte seine Laterne zurückgelassen, und so kämpften sie im Halbdunkel. Es war ein kurzer, brutaler Kampf, untermalt von Ächzen und dem Klirren von Waffenstahl. Selbst im Eifer und in der Gefahr des Augenblicks wünschte ich, es wäre so hell gewesen, dass ich meinen Vater richtig kämpfen hätte sehen können.
Dann war es vorbei, und der grinsende Angreifer grinste nicht mehr, sondern ließ sein Schwert fallen, kippte mit einem Schrei über das Geländer und prallte ein Stockwerk tiefer auf den Boden. Der spitzohrige Eindringling war die Treppe schon halb heraufgekommen, überlegte es sich nun aber anders und wirbelte herum, um in die Eingangshalle zu flüchten.
Von unten drang ein Ruf herauf. Über die Brüstung hinweg sah ich einen dritten Mann, der ebenfalls eine Maske trug und dem Spitzohrigen winkte, bevor beide unterhalb der Galerie aus meinem Blickfeld verschwanden. Ich schaute auf und sah im schwachen Licht einen bestimmten Ausdruck über das Gesicht meines Vaters huschen.
„Der Freizeitraum“, sagte er.
Und im nächsten Augenblick, bevor Mutter oder ich ihn aufhalten konnten, sprang er über das Geländer in die Eingangshalle hinunter. Während er noch in der
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