Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen
erfüllt. Ihr steht als Mann vor mir, als respektierter Tempelritter. Ich glaube, das überseht Ihr. Und vergesst nicht, dass ich Jenny heiraten wollte. Vielleicht betrachtet Ihr es in Eurem Eifer, Euren Vater rächen zu wollen, als unseren einzigen wahren Fehlschlag, dass wir Digweed nicht fanden, aber dem ist nicht so, denn wir haben auch Jenny nie gefunden, oder? Aber an das Schicksal und Leid Eurer Schwester verschwendet Ihr natürlich keinen Gedanken.“
„Ihr beschuldigt mich der Gefühllosigkeit? Wollt Ihr sagen, ich hätte kein Herz?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich verlange nur, dass Ihr auf Eure eigenen Schwächen blickt, bevor Ihr anfangt, die meinen auszuleuchten.“
Ich musterte ihn sorgsam. „Ihr habt mich die Suche betreffend nie ins Vertrauen gezogen.“
„Braddock wurde ausgeschickt, um nach ihm zu suchen. Er informierte mich regelmäßig.“
„Aber mich habt Ihr nicht informiert.“
„Ihr wart ein kleiner Junge.“
„Der erwachsen wurde.“
Er senkte den Kopf. „Dann entschuldige ich mich dafür, diese Tatsache nicht berücksichtigt zu haben, Haytham. In Zukunft werde ich Euch als Gleichberechtigten behandeln.“
„Dann fangt jetzt damit an … indem Ihr mir von diesem Tagebuch erzählt“, sagte ich.
Er lachte, als hätte ich ihn schachmatt gesetzt. „Ihr habt gewonnen, Haytham. Also gut, das Tagebuch ist der erste Schritt zum Standort eines Tempels … eines Tempels der ersten Zivilisation, angeblich errichtet von jenen, die davor kamen.“
Ich hielt einen Moment lang inne und dachte: Ist das wahr? Dann lachte ich.
Erst sah er mich erschrocken an. Vielleicht erinnerte er sich daran, wie er mir zum ersten Mal von „jenen, die davor kamen“ erzählt hatte. Damals war es mir schwergefallen, mich zusammenzureißen. „Jene, die davor kamen …?“, hatte ich verächtlich geschnaubt.
„Vor uns “, hatte er angespannt erwidert. „Vor den Menschen. Eine frühere Zivilisation.“
Jetzt blickte er mich finster an. „Ihr findet das immer noch amüsant, Haytham?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nicht amüsant, eher …“, ich hatte Mühe, das passende Wort zu finden, „… schwer vorstellbar, Reginald. Ein Volk von Wesen, die vor den Menschen existierten. Götter …“
„Keine Götter, Haytham, Menschen der ersten Zivilisation, die die Menschheit steuerten. Sie hinterließen uns Artefakte, Haytham. Artefakte von so großer Macht, dass wir nur davon träumen können. Ich glaube, wer es schafft, diese Artefakte in seinen Besitz zu bringen, der kann das Schicksal der gesamten Menschheit lenken.“
Mein Lachen verklang, als ich sah, wie ernst er geworden war. „Das ist eine kühne Behauptung, Reginald.“
„Allerdings. Wäre es eine bescheidene Behauptung, wären wir nicht in diesem Maße daran interessiert, oder? Die Assassinen wären nicht daran interessiert.“ Seine Augen glänzten. Die Flammen der Fackeln leuchteten und tanzten darin. Ich sah diesen Ausdruck nicht zum ersten Mal in seinen Augen, aber er zeigte sich nicht oft. Und nie, wenn er mich in Sprachen, Philosophie oder auch Altphilologie oder in der Kunde des Kämpfens unterrichtete. Nicht einmal dann, wenn er mir die Lehren des Ordens beibrachte.
Nein, nur wenn er über jene sprach, die vorher kamen.
Manchmal machte sich Reginald lustig über das, was er als einen Überdruss an Leidenschaft betrachtete. Er hielt das für eine Unzulänglichkeit. Doch wenn er über die Wesen der ersten Zivilisation sprach, dann klang er wie ein Fanatiker.
II
Wir verbringen die Nacht hier im Hauptquartier der Templer in Prag. Als ich nun in einem kargen Raum mit grauen Steinwänden sitze, spüre ich das Gewicht Tausender Jahre von Templergeschichte auf mir lasten.
Meine Gedanken wandern zum Queen Anne’s Square, wo meine Mutter und das Personal nach Beendigung der Bauarbeiten wieder eingezogen waren. Mr Simpkin hatte uns über die Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten. Reginald hatte die Arbeiten beaufsichtigt, auch als wir auf der Suche nach Digweed und Jenny von Land zu Land gezogen waren. (Und ja, Reginald hatte recht. Die Tatsache, dass es uns nicht gelang, Digweed ausfindig zu machen, nagte an mir; aber an Jenny denke ich kaum einmal.)
Eines Tages kam von Simpkin die Nachricht, dass man aus Bloomsbury in die alte Residenz am Queen Anne’s Square zurückgekehrt sei. An jenem Tag sah ich vor meinem geistigen Auge die holzvertäfelten Wände des Hauses, in dem ich aufgewachsen war, und ich konnte mir auch die
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