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Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen

Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen

Titel: Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bowden
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Menschen darin lebhaft vorstellen, vor allem meine Mutter. Aber natürlich sah ich in meiner Vorstellung die Mutter, die ich als Junge gekannt hatte, die mir strahlend hell wie die Sonne und doppelt so warm vorkam und auf deren Schoß ich das vollkommene Glück kennengelernt hatte. Meine Liebe zu meinem Vater war inbrünstig und vielleicht auch stärker, aber die zu meiner Mutter war reiner. Vater gegenüber empfand ich ein Gefühl der Ehrfurcht, eine so große Bewunderung, dass ich mir bisweilen fast zwergenhaft klein vorkam, und damit einher ging ein unterschwelliges Gefühl, das ich nur als Beklemmung beschreiben kann, die daher rührte, dass ich Vater irgendwie gerecht werden müsste, wie ich da aufwuchs in dem gewaltigen Schatten, den er warf.
    Mutter gegenüber kannte ich keine solche Verunsicherung, nur das beinah überwältigende Gefühl von Behaglichkeit, Liebe und Behütetsein. Und sie war eine Schönheit. Es gefiel mir immer, wenn die Leute mich mit Vater verglichen, weil er so eindrucksvoll aussah, aber wenn es hieß, ich sehe wie Mutter aus, dann wusste ich, man meinte, ich sei gut aussehend . Von Jenny sagte man „sie wird einmal etliche Herzen brechen“ und „um sie werden sich die Männer prügeln“. Man wählte Begriffe, die mit Kampf und Konflikt verknüpft waren. Wenn von Mutter die Rede war, tat man das nicht. Ihre Schönheit war von sanfter, mütterlicher, fürsorglicher Art, und von der sprach man nicht mit der Aggression, die Jennys Aussehen weckte, sondern mit Wärme und Bewunderung.
    Jennys Mutter, Carolin Scott, hatte ich natürlich nicht gekannt, aber ich hatte mir ein Bild von ihr erschaffen: Ich nahm an, dass sie „eine Jenny“ war und dass mein Vater von ihrem Aussehen gefangen genommen worden war, so wie Jennys Verehrer von ihrem Aussehen gefangen genommen wurden.
    Mutter hingegen stellte ich mir als eine völlig andere Persönlichkeit vor. Sie mochte die ganz gewöhnliche Tessa Stephenson-Oakley gewesen sein, als sie meinen Vater kennenlernte. Das hatte sie jedenfalls immer gesagt: „die ganz gewöhnliche Tessa Stephenson-Oakley“, was in meinen Ohren gar nicht gewöhnlich klang, aber sei es drum. Vater war nach London gezogen, allein, ohne Hausstand, aber mit genug Geld, um einen zu kaufen. Als er von einem reichen Grundbesitzer ein Haus in London mietete, hatte dessen Tochter sich erboten, meinem Vater bei der Suche nach einem festen Wohnsitz und dem notwendigen Personal behilflich zu sein. Diese Tochter war natürlich die „ganz gewöhnliche Tessa Stephenson-Oakley“ gewesen …
    Sie hatte lediglich angedeutet, dass ihre Familie über die Liaison nicht glücklich gewesen war. Ihre Seite der Familie lernten wir nie kennen. Sie widmete ihre Kraft ganz uns, und bis zu jener entsetzlichen Nacht war ich der Mensch gewesen, dem ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, ihre unerschöpfliche Zuneigung und ihre bedingungslose Liebe gegolten hatten.
    Doch als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, wies nichts an ihr mehr auf dieses engelsgleiche Wesen hin. Wenn ich jetzt an unsere letzte Begegnung zurückdenke, kommt mir vor allem der Argwohn in ihren Augen in den Sinn, der in Wirklichkeit Verachtung war. Als ich den Mann tötete, der im Begriff war, sie umzubringen, veränderte ich mich in ihren Augen. Ich war nicht mehr der kleine Junge, der auf ihrem Schoß gesessen hatte.
    Ich war ein Mörder.

20. Juni 1747
    Auf dem Weg nach London las ich in einem alten Tagebuch. Warum? Vielleicht trieb mich eine Ahnung dazu. Ein Nagen in meinem Unterbewusstsein … oder Zweifel.
    Was es auch war, als ich den Eintrag vom 10. Dezember 1735 las, wusste ich jedenfalls ganz genau, was ich zu tun hatte, sobald ich in England eintraf.

2.–3. Juli 1747
    Heute fand die Trauerfeier statt, und außerdem … nun, ich sollte wohl etwas weiter ausholen.
    Nach der Trauerfeier sprach Reginald auf der Treppe zur Kapelle mit Mr Simpkin. Mir sagte Mr Simpkin, er habe ein paar wichtige Papiere, die ich unterschreiben müsse. Nach Mutters Tod gehöre das gesamte Vermögen der Familie mir. Mit einem servilen Lächeln sagte er, dass ich hoffentlich mehr als nur zufrieden sei mit der Art und Weise, wie er die Angelegenheit bislang geregelt hätte. Ich nickte ihm lächelnd zu, sagte nur irgendetwas Unverbindliches und dass ich ein wenig allein sein wolle, dann stahl ich mich davon, scheinbar, um in Ruhe nachzudenken.
    Ich hoffte, dass der Weg, den ich einschlug, zufällig wirkte, als ich die Durchgangsstraße entlangging,

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