Assassin's Creed: Der geheime Kreuzzug (German Edition)
dem Assassinen ins Gesicht. Aber in seinen sterbenden Augen lag keine Angst. Alles, was Altaïr darin entdeckte, war Sorge. „Oh ja … ich werde jetzt ruhen, nicht wahr?“, sagte Nablus mit leisem Stöhnen. „Der endlose Traum ruft mich. Aber bevor ich meine Augen schließe, beantworte mir eine Frage. Was wird aus meinen Kindern?“
Kinder? „Ihr meint die Menschen, die Ihr mit Euren grausamen Experimenten gequält habt?“ Altaïr konnte seinen Ekel nicht verhehlen. „Sie sind frei und können nach Hause gehen.“
Nablus lachte spöttisch. „Nach Hause? In die Kanalisation, meint Ihr? In die Bordelle? In die Gefängnisse, aus denen wir sie herausgeholt haben?“
„Ihr habt diese Menschen mit Gewalt verschleppt“, sagte Altaïr. „Gegen ihren Willen.“
„Ja. Aber einen Willen besaßen sie ja kaum noch“, keuchte Nablus. „Seid Ihr wirklich so naiv? Tröstet Ihr ein heulendes Kind einfach nur, weil es jammert: Aber ich will mit dem Feuer spielen, Vater! Was würdet Ihr diesem Kind sagen? Wie du willst? Dann wäre es Eure Schuld, wenn es sich verbrennt.“
„Das hier sind keine Kinder“, entgegnete Altaïr. Er wollte den Sterbenden verstehen. „Das sind erwachsene Männer und Frauen.“
„Ihrem Körper nach vielleicht. Aber nicht im Geiste. Und das ist der Schaden, den ich zu beheben versuchte. Ich gebe zu, ohne das Artefakt – das Ihr uns gestohlen habt – verlangsamte sich mein Fortschritt. Aber es gibt Kräuter. Mischungen und Extrakte. Meine Wachen sind der Beweis dafür. Auch sie waren irr, bevor ich sie fand und sie aus den Kerkern ihres kranken Geistes befreite. Und wenn ich tot bin, werden sie wieder zu Irren werden.“
„Ihr glaubt wirklich, dass Ihr ihnen geholfen habt?“, fragte Altaïr.
Nablus lächelte. Jetzt erlosch das Licht in seinen Augen langsam. „Es geht nicht darum, was ich glaube, sondern um das, was ich weiß.“
Er starb. Altaïr ließ den Kopf des Mannes auf den Steinboden sinken, holte Al Mualims Feder hervor und bestrich sie mit Blut. „Möge der Tod sich deiner erbarmen“, flüsterte er.
Im selben Moment wurde unter den Mönchen, die nicht weit entfernt standen, ein Schrei laut, und Altaïr, eben noch über den Toten gebeugt, richtete sich auf und sah auch schon Wachen auf sich zustürmen. Als sie ihre Schwerter zogen, sprang er auf und rannte zur gegenüberliegenden Tür, die, so hoffte er eindringlich, auf den Hof hinausführte.
Er öffnete sie und stellte erfreut fest, dass seine Hoffnung sich erfüllt hatte.
Weniger erfreut war er, den Wächter von vorhin wiederzusehen, der mit gezogenem Breitschwert durch die offene Tür platzte …
Altaïr zog sein Schwert, und mit der Klinge am Handgelenk des einen Arms und dem Schwert in der anderen Faust blockierte er die Attacke des Wächters. Eine Sekunde lang standen die beiden Männer Nase an Nase da, und Altaïr konnte das vernarbte Augenlid des Mannes genau sehen. Dann stemmte sich Narbenlid von ihm ab, führte aber sofort einen Stich nach vorn, traf Altaïrs Schwert, aber setzte so rasch nach, dass Altaïr fast nicht zum Parieren kam. Der Assassine tänzelte zurück und versuchte, Distanz zwischen sich und Narbenlid zu bringen. Der Wächter war ein besserer Schwertkämpfer, als er erwartet hatte. Und groß und stark war er noch dazu. An seinem Hals traten die Sehnen hervor, die jahrelange Handhabung des schweren Breitschwerts hatte ihn bärenhafte Kraft entwickeln lassen. Altaïr hörte, wie sich ihm von hinten die anderen Wachen näherten und dann auf ein Zeichen von Narbenlid hin stehen blieben.
„Den will ich haben“, knurrte der hünenhafte Ritter.
Er war überheblich, allzu selbstsicher. Lächelnd genoss Altaïr diese Ironie. Dann griff er an und riss die Klinge von unten nach oben. Grinsend wehrte Narbenlid den Hieb ab und grunzte dann, als Altaïr nach links sprang, ihn von der anderen Seite her attackierte – von der Seite seines verletzten Auges, das seine Schwachstelle war – und nach seinem Hals schlug.
Die Kehle des Ritters klaffte auf, Blut ergoss sich aus der Wunde, während er in die Knie sank. Hinter Altaïr erklang ein überraschter Aufschrei, und er rannte los, brach durch eine Reihe von Verrückten, die sich zum Zuschauen versammelt hatten, sprintete über den Hof, am Brunnen vorbei und durch den Torbogen hinaus in die Stadt.
Er blieb stehen und ließ den Blick zu den Dächern hinaufwandern. Dann sprang er auf einen Marktstand, und während ihm der Händler
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